Gabriel García Márquez: „Wir sehen uns im August“

Wir sehen uns im August
Wir sehen uns im August.

Die Reichen und Schönen unter sich. Eine Telenovela in Kurzform.

Gabriel García Márquez skizziert in dem wenig umfänglichen Roman „Wir sehen uns im August“ die Suche Ana Magdalena Bachs nach Romantik, Intensität und Sinnlichkeitserfüllung. Die Protagonistin fährt einmal pro Jahr auf eine Insel in die Karibik, wo ihre Mutter begraben liegt. Dorthin bringt sie ein Strauß Gladiolen, gedenkt ihrer Mutter, verbringt eine Nacht in einem Hotel und fährt zurück in ihr vermeintlich glückliches Leben mit Ehemann, Tochter und Sohn. Doch dann geschieht etwas Unvorhergesehenes:

Es hatte zwei Uhr geschlagen, als ein Donner das Haus bis ins Fundament erschütterte und der Wind den Riegel des Fensters aufdrückte. Schnell schloss sie es wieder, und im plötzlichen Mittagslicht eines weiteren Blitzes sah sie die aufgewühlte Lagune und, durch den Regen hindurch, den riesigen Mond am Horizont und die blauen Reiher atemlos im Sturm flattern. Er schlief.

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Wolf Haas: „Eigentum“

Eigentum
Eigentum von Wolf Haas.

Mit viel Empathie, dennoch der Trauer und dem Schock mit Flapsigkeit ausgewichen. Freundlich, doch etwas feige und zu kurz.

Wolf Haas, bekannt vor allem für seine Brenner-Krimis, zuletzt „Müll“, befeuert in „Eigentum“ das aufblühende autofiktionale Genre. Im harten, schnellen Präsenz schreibt er nicht über, sondern gegen den Tod und das Sterben, hier, von dem Tod der Mutter seines Ich-Erzählers, die er im Altenheim besucht und zu diesem Anlass ihr Leben Revue passieren lässt:

Aber ich hab keine Zeit. Ich will das hinschreiben, solange sie noch lebt, danach möchte ich mich nicht mehr damit beschäftigen. Das heißt, ich hab keine Zeit, ich muss es schnell hinschreiben, womöglich lebt sie nur noch ein paar Tage (tatsächlich nur noch zwei), dann möchte ich diese verdammten Geschichten auch endlich begraben, was geht es mich an, dass ein Mensch, den ich nicht gekannt habe, sein kleines Lechn immer wieder gegen ein größeres Lechn getauscht hat.

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Rhea Krčmářová: “Monstrosa”

Rhea Krčmářová: “Monstrosa”

Selbstfindungsoper im Institut für Essstörungen. Eine Opernsängerin haut auf den Putz und wirbelt das Leben der Mitinsassen herum. Eine wortgewandte Rhapsodie.

Rhea Krčmářová schreibt Bücher über Voluminositäten. In „Monstrosa“ lautet die Rahmenhandlung: eine Opernsängerin namens Isabella wird von ihrer weltbekannten Gesangslehrerin vor die Wahl gestellt, sich wegen Essstörungen in Behandlung zu begeben oder ihren Status als Schülerin und somit alle Chancen zu verlieren, sich noch einen Namen als Opernsängerin zu machen. Isabella beißt in den sauren Apfel, vermietet ihr Zimmer unter und weist sich selbst in das Klinikum Gertraudshöhe im Wienerwald ein:

Ich muss meine Spiegelung nicht sehen, angedeutet im Glas der Trenntüren zwischen Krankenstation und Stiegenhaus; in den Überresten des zersplitterten Spiegels im Therapieraum oder im kleinen Rund dessen, was einmal mein Schminkspiegel war. Das Monster bin ich.

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Iris Wolff: „Lichtungen“

Lichtungen

Eine Retrospektive der Verluste. Ein Leben, das wartet, auf sich warten lässt und keine Erlösung findet. Zu einem passiven Protagonisten gesellt sich eine destruktive Erzählweise.

Iris Wolffs Roman „Lichtungen“ dreht sich alles um Heimat und Identität einer deutsch-rumänischen Familie in der Nähe Siebenbürgens. Die Hauptfigur, Lev oder Leonhard, wächst in einer Familie aus Halbgeschwistern auf. Lis, seine Mutter, heiratete Levs Vater, als dieser nach dem Tod seiner Frau drei Kinder, zwei Söhne, eine Tochter durchzubringen versucht. Doch zwischen den Familienmitgliedern herrscht keine Harmonie. Vor allem Lev fühlt sich als außenstehender:

Lev hatte keine Großmutter mütterlicherseits. Keinen Großvater väterlicherseits. Er hatte keinen Vater. Und wer ebenso fehlte, war Ferry. Er war in all den Jahren kaum zu Besuch gekommen.

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Tijan Sila: „Radio Sarajevo“

Radio Sarajevo

Unverbindliches aus dem Nähkästchen-Plaudern über Krieg, Flucht und Traumaverarbeitung. Mehr eine Skizze, ein Brainstorming, aber kein Werk gegen das Vergessen.

Gegen das Vergessen schreiben, so schließt Sila sein eigenes Buch, das von sich nicht behauptet ein Roman zu sein und auch, in der Tat, nicht im entferntesten einer ist:

„In Bosnien wird die Generation meiner Eltern die »entwurzelte« oder die »ausgerissene« genannt. Meine Generation aber hat keinen Spitznamen, wir sind die Vergessenen. Ich schrieb dieses Buch auch, um dem Vergessen etwas entgegenzusetzen.“

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Rebecca Yarros: „Flammengeküsst“

Flammengeküsst
Flammengeküsst von Rebecca Yarros.

Viel Schaumschlägerei um den ersten bedeutsamen Kuss und Sex. Eine Protagonistin findet sich und ihre Lust in einer leeren, faden Welt.

Ein Roman über die Suche und das Finden des richtigen Partners, über ein Schwanken zwischen dem Spatz in der Hand und der Taube auf dem Dach, über den Versuch, über sich und das Auferlegte hinaus- und wieder hineinzuwachsen – Sehnsuchts- und Traumprosa, die die Untiefen der eigenen Individualität aus dem Wege geht und in die geliebten und gehassten Mitmenschen projiziert:

Xaden, der grüblerisch und rechthaberisch, gefährlich und tödlich ist, ist ein hinreißender Anblick, der meinen Puls in die Höhe treibt. Aber Xaden, der lacht, mit zurückgelegtem Kopf und einem Lächeln auf den Lippen, ist einfach umwerfend schön. Mein törichtes, dummes Herz fühlt sich an, als wäre es von einer Faust umschlossen, die fest zudrückt.

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Magdalena Saiger: „Was ihr nicht seht“

Was ihr nicht seht oder Die absolute Nutzlosigkeit des Mondes : Saiger,  Magdalena

Ein imaginärer Befreiungsschlag, der weniger narrativ, plottechnisch, als expressiv überzeugt. Kollage einer surrealistischen Fahrt ins Freie.

Magdalena Saigers Debütroman „Was ihr nicht seht oder Die absolute Nutzlosigkeit des Mondes“ reiht sich ein in die Gattung der freien Assoziationstexte, die in einer eher losen Verquickung von Handlungsabläufen Zeit und Raum für Reflexionen schaffen, um dort nach Selbstverständigung zu suchen. Er beginnt mit den folgenden, wegweisenden Worten:

Diesen Text wird nie jemand lesen.
Würdet ihr ihn lesen, ihr würdet euch wundern.
Wer kann schon damit rechnen, dass es das gibt: dass jemand aufbricht, sein Leben aufgibt, wie es doch recht glatt lief zuletzt. Und sucht sich einen Ort, der einem Nirgends nahekommt, sehr nahe, und baut dort unermüdlich, Tag und Nacht, an dem Kunstwerk, das nie jemand sehen wird – nicht weil sich niemand dafür interessieren würde, sondern weil es nie jemand sehen soll.

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Tomer Dotan-Dreyfus: „Birobidschan“

Birobidschan

Wirr, überladen, sprachlich unterhalb der Schmerzgrenze trotz starken Anfangs und interessanten Settings.

Das zweite Buch der Shortlist des Bloggerpreises „Das Debüt“ lockt mit einem geheimnisvollen Cover, das einen Stahlarbeiter zeigt, der vor einer übergroßen Hebel- oder Pressvorrichtung steht. Selten hat ein Cover weniger mit einem Inhalt zu tun gehabt wie bei Tomer Dotan-Dreyfus‘ Debütroman „Birobidschan“. Dort geht es nicht um Stahlarbeit, um die Verfertigung einer Transsibirischen Eisenbahn, um die Härten und Zumutungen der sowjetischen Industriearbeit. Stattdessen dreht sich alles um Familie, Partnertausch und verschwundene Ehemänner:

Rachel sah ihren Vater [Gregory] nie wieder, aber er sah sie. Ab und zu war er da, im Hintergrund, zwischen Bäumen und Büschen, als würde er in diesem Zeitpunkt in Tunguska, im Wald, im ewigen Hintergrund feststecken. Sogar die Beerdigung von Jakov beobachtete er aus der Ferne. So gern hätte er hingehen und Josephin [Rachels Mutter] noch einmal umarmen wollen. Aber die Distanz … man gewöhnte sich nicht nur an sie, man wurde davon abhängig.

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Haruki Murakami: „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“

Mühsam verkitteter Allegorie-Exzess, oder wie Sprache gegen sich selbst kämpft und das Erzählen dabei auf der Strecke bleibt. Seltsam nahe am Bedeutungsnirwana.  

Ob es an der Übersetzung liegt (mir wurde versichert, dass nicht), Stilist ist Haruki Murakami jedenfalls nicht. Auch in „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ hakelt und radebricht es von Seite zu Seite im Stolperschritt:

In diese diffusen Gedanken versunken, schritt ich durch die abendliche Dämmerung. Auf Höhe des Uhrturms warf ich gewohnheitsmäßig einen Blick auf die zeigerlose Uhr, die nicht die Zeit anzeigte, sondern deren Bedeutungslosigkeit veranschaulichte. Die Zeit ist nicht stehen geblieben, hat aber ihre Bedeutung verloren.

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Bernhard Schlink: „Das späte Leben“

Das späte Leben von Bernhard Schlink

Von der Belanglosigkeit des Unvermeidlichen … ein ziemlich schwacher Trost voller Fragezeichen.

Schlink wählt sich gern die großen Themen: Die Vergangenheitsaufarbeitung Nazi-Deutschlands in „Der Vorleser“, der Rechtsradikalismus und die völkischen-identitären Gemeinschaften in Ostdeutschland in „Die Enkelin“, nun der Krebstod in „Das späte Leben“:

Der Arzt schüttelte den Kopf. »Wenn die Wirbelsäule betroffen ist …« Er strich das zerknüllte Papier glatt. »Herr Brehm, wir haben vor Jahren einmal über den Tod gesprochen, erinnern Sie sich?«

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