Ana Marwan: „Der Kreis des Weberknechts“

Ana Marwan: „Der Kreis des Weberknechts“

Wenn verkopfte Männer lieben … eine literarische Immunisierungsstrategie.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Wie man freundlich und höflich, nicht zur Kenntnis nimmt, davon handelt Ana Marwans im Otto Müller Verlag erschienener Roman Der Kreis des Weberknechts. In ihm geht es um Karl und Mathilde, die sich zufällig am Flughafen kennenlernen und zueinanderfinden wollen. Mathilde hat zuerst mehr Interesse. Später Karl. Dass das mit der Liebe aber nicht so einfach, insbesondere für verkopfte Männer ist, wird von Marwan trocken und mit deutlicher Sprache zum Ausdruck gebracht:

So ist es oft. Ein Liebender möchte es genau wissen. Das, was er wissen möchte, nennt er unbescheiden ‚die Wahrheit‘, und oft fügt er noch unbescheidener das ‚nur‘ hinzu. Nur die Wahrheit, er möchte nur die Wahrheit wissen. Fairerweise muss man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ‚nur‘ nicht die Wahrheit mindern möchte, sondern das, was der Liebende will. Und wenn es so ist, auch wenn nicht oft, ist der Verzicht auf Liebe zugunsten der Wahrheit schon ein großes Opfer.

Wahrheit nämlich steht für Karl Lipitsch obenan. Nichts geht im über sein ontologisches Lebenswerk, um dessen willen er sich von all seinen Mitmenschen zurückgezogen und in die Klausur begeben hat. Nur so richtig klappen, will’s mit dem philosophischen Haupt- und Lebenswerk nicht. Nach ein paar Monaten sind Karl alle Ausreden recht, nicht zu schreiben, so auch die Beerdigung des Partners einer Ex-Geliebten, den er seit fünfzehn Jahren weder gesehen noch gesprochen hat. Auf der Rückreise, am Gepäckband, sieht Mathilde an den Koffern, dass Karl und sie Nachbarn sind. Die Affäre beginnt stockend:

Mathilde meinte, es sei höchste Zeit, Lipitsch das ‚Du‘ anzubieten. Lipitsch schaute sie eine Weile an und sagte dann, er habe Angst vor ‚Du‘, ‚Du‘ verdirbt alles, ‚Du‘ überschreitet (unter dem abgedroschenen Vorwand der Ehrlichkeit) die Grenzen der Höflichkeit, die ‚Sie‘ achtet; ‚Sie‘ nimmt den Menschen, wie er ist, während ‚Du‘ ihn nach seinem Geschmack verändern möchte […]

Marwans Stil ist erbarmungslos, flüssig, schnell. Der kurze Roman macht nicht viel Aufsehens um die Gedankenausflüge Karls. Sie notiert, protokolliert sein Scheitern, seine Versuche, sein Hin- und Herdenken, das nicht aus noch ein weiß. Diese Konfusion verbirgt er unter Belesenheit, mit Zitaten, Rhetorik und ungebührlichen Auftreten, die Marwan subversiv durch den Text ziehen lässt. So ist viel von Marcel Proust, auch von Albert Camus und von Friedrich Nietzsche die Rede, aber ohne Karls Blasiertheit. Marwans Stil hemmt ihn. Souverän springt der Text zwischen den Zeiten, blendet ab und aus, was anstrengend oder peinlich wirken könnte.

Der Roman lässt die Figuren nicht auflaufen. Er stellt sie nicht bloß, macht sie nicht lächerlich wie Maxim Biller in Der falsche Gruß oder Christian Kracht in Eurotrash. Die distanzierte Form erlaubt das Nacherzählen in kaleidoskopartiger Manier und transportiert auf diese Weise, zwischen den Zeilen mehr als andere, mehr psychologisch angelegte Werke. Ein Bild ergibt sich ohnehin. Ana Marwans Roman Der Kreis des Weberknechts berauscht nicht sprachlich wie Valerie Fritschs Wintergarten. Es ist ein ruhiger, abgeklärter, unaufgeregter Roman wie Judith Hermanns Daheim, Helga Schuberts Vom Aufstehen und Daniela Kriens Der Brand, die gerade deshalb überzeugen. Wer’s jedoch ausführlicher, belastender und psychologischer möchte, der findet in Sören Kierkegaards Das Tagebuch eines Verführers genügend Anknüpfungspunkte, den Kreis des Weberknechts weiterzuspinnen.

4 Gedanken zu „Ana Marwan: „Der Kreis des Weberknechts““

    1. Ich bin sehr offen für Kritik – ich schreibe ja die Rezension nicht als Werbung, eher als Leseerlebnis, als Gedankenaustauschanregung. Für manche Bücher breche ich aber sehr ausdrücklich eine Lanze, bspw. für Helga Schuberts “Vom Aufstehen” oder Claudia Durastanti “Die Fremde” oder Ariane Koch “Die Aufdrängung” etc … wie wohl alle in unserer Blogsphäre habe ich sehr viel gelesen und wenn der Roman so kongruent in die bereits vorhandenen ästhetischen Wirkungsmuster einrastet, vermag ich keinen euphorischen Bericht zu verfassen. Ana Marwans Roman hat mir sehr gefallen, aber im Vergleich zu Valerie Fritschs “Winters Garten” oder Edgar Selges “Hast du uns endlich gefunden” hat es nicht viel ausgelöst in mir, leider. In diesem Falle habe ich deshalb Kierkegaard angemerkt, dessen “Tagebuch des Verführers” mich noch immer bewegt und auch gruselt. Viele Grüße und wohligen Samstag euch!

      1. Danke, Alexander, ich bin sehr gerne hier auf deiner Seite, kenne die meisten Bücher aber nicht, denn die Zeit, dass ich viel las, liegt schon etwas zurück. In meiner Nähe gibt es keine deutsche Buchhandlung. Seit den Covid-Beschränkungen fahre ich überhaupt nicht mehr ins Stadtzentrum von Athen, und die meiste Zeit lebe ich sowieso auf dem Lande. Es fehlt mir daher die Anregung des Anfassens, Durchblätterns, Anlesens.. Umso mehr freue ich mich, hier auf deiner Seite Rezensionen zu lesen, die mir einen wirklichen Einblick in die Bücher geben. Ich habe auch Vertrauen in deine Empfehlungen und werde demnächst mal ein paar der Bücher bestellen, die du empfiehlst. Danke!

        1. Das freut mich sehr. Zögere nicht, wenn du noch Fragen hast oder sich Fragen stellen. Das haptische Erlebnis beim Schmökern und Lesen spielt eine wichtige Rolle, auch für mich. Ich bin früher oft auf Flohmärkten gewesen, habe in Buchkästen herumgewühlt und so manchen Schatz mit nach Hause gebracht. Heutzutage ist das alles anders. Die Bücherkisten stehen online, und zumeist nicht mehr zum Grabbeln am Straßenrand 🙂 … Ich wünsche einen wunderbaren Sonntag und vielen Dank für deinen sehr hoffnungsfröhlichen positiven Blog, der mich oft aufmuntert!!

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