Claudia Schumacher: „Liebe ist gewaltig“

Liebe ist gewaltig

Literarisch widersprüchliche Reise durch ein zerstörtes Ich.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2023/…

Reproduziert sich Gewalt durch Mimesis, durch Enttäuschung, durch Unvermögen? Diese Frage stellt sich Claudia Schumacher in ihrem Debüt „Liebe ist gewaltig“, das weniger von Liebe als von Aggression handelt. Der Titel mag daher etwas irreführend sein. „Liebe“ in ihrer klassisch vorgestellten Form wie in Benedict Wells „Hard Lands“ oder „Vom Ende der Einsamkeit“ oder Irvin D. Yaloms und Marilyn Yaloms „Unzertrennlich“ taucht in Schumachers Roman nicht auf:

„Ich wünschte, ich hätte deine positive Ader, wie Anikó es nennt. Deinen Selbstglauben, dein beschissenes Alles-ist-möglich. Aber ich bin Jules, das schwarze Loch, das sich selbst frisst. Ich wünschte, ich wäre jemand, den du lieben kannst. Ein Dichter, auf die stehst du doch. Wäre ich ein Dichter, dann wäre diese Misere in der Pfütze nicht nur ein Tiefpunkt, nein, sie wäre auch ein Grund für ein neues Gedicht, und zwar ein Gedicht für dich. Aber ich hasse Gedichte.“

Schumachers Roman entwickelt sich um die Widersprüche: Positiv/Negativ, Liebe/Hass, Allein/Zusammen, Gewalt/Zärtlichkeit. Die Hauptfigur heißt Jules und studiert Mathematik und verdient ihr Geld mit Ego-Shooter-Wettkämpfen. Ihr Leben kreist um Gewalt gegen sich selbst und andere, zumal sie nichts anderes aus ihrem Elternhaus gelernt hat. Ihre vier Geschwister gehen völlig auf Abstand oder sind ihr ähnlich. Hier wieder die Janusköpfigkeit und Dichotomie. Der Widerspruch:

„Eigentlich mag ich keine coolen Menschen. Diese Leute mit ihren elaborierten Geschmäckern und harmonierenden, sorgsam geführten Garderoben – wo ist die Ehrlichkeit, die Anarchie der Authentizität? Hören die nachts heimlich Britney Spears? In meiner Brust stecken unzählige Menschen, eigenartige Menschen, lustige Menschen, widersprüchliche Menschen. Ich kann mich nicht auf eine Formel bringen und sagen: Blur, ganz klar Blur – niemals Oasis.“

Die Widersprüchlichkeit markiert sich in der Textgestalt auch durch changierende Erzählposition. Das Für und Wider pendelt hin und her und erhält keine Ruhe und bekommt keine Perspektive. Der Plot bricht sich gegen Ende des Buches bahn und überzeugt gerade dort, wo er nichts erklären, nichts eruieren, begründen, konzentrieren will, wenn das Erzählen überhand gewinnt und die Gefahr beschrieben wird, in die Jules gerät, ein selbiges Leben wie ihre Mutter zu führen:

„Als Thilo fragte, ob sie ihn heiraten wolle, quiekte die Mutter vor Freude, der Vater lächelte weinselig, Max sah auf seine Uhr, der Arsch, und Clementine machte ein Foto. Julia schwitzte. Sie starrte ihn an, sie konnte nicht sprechen, er lachte schüchtern. Julia? Schatz?, sagte er leise.
Okay, sagte sie schließlich und fragte sich gleichzeitig, ob man das so sagte.“

Claudia Schumachers Erstling verdichtet sich dort, wo er Stil und Rhythmus eines typischen Genreromans annimmt wie Nancy Prices Roman „Der Feind in meinem Bett“ oder Bret Easton Ellis‘ „American Psycho“. Das Erzählerische spielt mit Farben und Formen und hüllt die Ereignisse unter einen gruseligen Schleier ein. Wo aber aus der Ich-Perspektive Jules/Julias erzählt wird, bleibt der Text dem eigenen Motto verhangen, das Louise Glücks Gedicht von der unzuverlässigen Sprecherin (The Untrustworthy speaker) zitiert:

„Man kann mir nicht trauen.
Denn ein verwundetes Herz
ist auch ein verwundeter Geist.“

Am Ende bleibt dann eben die Frage, ob über Gewalt überhaupt reflektierend geschrieben werden kann, oder ob Gewalt nicht eben ein Fremdes bleibt, etwas, das ein Ich zwar erfährt, aber ein Ich, das sich seiner selbst bewusst ist, gar nicht ausüben kann. Diese Frage so minutiös herauszuarbeiten, bleibt Schumachers verdienst, auch wenn literarisch über weite Strecken der Funke nicht überspringt.

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