Damon Galgut: „Das Versprechen“

Damon Galgut: „Das Versprechen“

Eine wüste Welt ergreifend und wortgewandt, mit höchsten Formansprüchen beschrieben.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

„Das Versprechen“ von Damon Galgut handelt von den Konflikten in Südafrika zwischen den 1980er Jahren und der Gegenwart. Im Zentrum des Romans steht eine weiße südafrikanische Farmerfamilie, die Swarts, die neben ihrer Farm noch einen Reptilienzoo besitzen. Am Anfang des Romans stirbt die Mutter, Rahel. Die drei Kinder, Amor, Astrid und Anton und der Vater Manie bleiben zurück, und auch das Dienstmädchen Salome. Der letzte Wunsch Rahels, den Amor als kleines Mädchen bezeugt, ist Salome das Haus zu schenken, in welchem das Dienstmädchen mit ihrem Sohn Lukas wohnt. Der Roman handelt nun von dem Aufschub, den Problemen, die Kleinkariertheiten der Familie mit diesem Versprechen umzugehen.

„Ja, sagt er [Manie] vage, wenn ich einmal ein Versprechen gegeben habe, halte ich es auch. Sicher? Wenn ich’s dir doch sage. Er zieht ein Taschentuch aus der Jackentasche und schnäuzt sich die Nase, dann schaut er hinein und nimmt das Resultat in Augenschein. Steckt es wieder ein. Worum geht es hier eigentlich?, sagt er. (Salomes Haus.) Aber auch Amor schwinden die Kräfte, und sie sinkt abermals an seine Brust. Sie sagt etwas, doch er versteht kein Wort.“

Die etwas banale Geschichte hält etwas ganz Besonderes zusammen. Sie dient lediglich dazu, als Rahmen, ein Gewusel an individuellen Schicksalen, Selbstlügen, Unzulänglichkeiten und Verzweiflung zu beschreiben. Galgut lässt alle zu Wort kommen. Er kommentiert, taucht in die Gedanken, erzählt auktorial und personal und schafft es auf diese Weise ein polyphones Erlebnis zu kreieren, das fesselt, bannt, das interessiert, weil die Figuren lebendig werden, ihr je eigene Stimme bekommen, ihre je eigene Sicht artikulieren, die meist windschief zu den Ansichten, Vorstellungen, Meinungen der anderen Familienmitglieder stehen. „Das Versprechen“ evoziert ein Gesamtbild, fokussiert entlang einer Farm, gebündelt rund um eine Familie, in denen die Opfer zum Sprechen kommen:

„Es wird geschossen, erstochen, erdrosselt, verbrannt, vergiftet, erstickt, ersäuft, erschlagen /Eheleute, die sich gegenseitig niedermetzeln/Eltern, die ihre Kinder töten und umgekehrt/Fremde, die andere Fremde umbringen. Leichen, die einfach am Straßenrand liegen gelassen werden, wie achtlos weggeworfenes Bonbonpapier. Jede einzelne davon ein Leben, oder vielmehr ein zerstörtes Leben, von dem sich konzentrische Ringe aus Schmerz nach allen Seiten ausbreiten, womöglich bis in alle Ewigkeit.“

Galgut hält sich an keine stringente Erzählposition. Er zieht heran, was ihm zum je augenblicklichen Ereignis einfällt. Seine Assoziationen sind zwar lose, jedoch nie beliebig. Seine Satzstrukturen fest und klar, obgleich Tote als Gespenster sprechen, oder von einer Innenwelt in die nächste gehüpft wird und sich hier und da ein allwissender Erzähler meldet und die Lage mit Ironie und Kopfschütteln, manchmal mit Sarkasmus kommentiert. Sein Schreibstil spiegelt das emotionale, intellektuelle Wirrwarr wider, das sich um die Geschehnisse in den Köpfen aller Beteiligten stets aufs Neue bildet. Nichts ist verstanden. Nichts ist klar. Nichts verständlich. Jede einzelne Figur kämpft mehr oder weniger erfolgreich um Klarheit, Selbsterhalt und Übersicht.

„Er [Anton] geht davon und lässt eine jäh zersprengte Gesellschaft zurück, Menschen, die sichtlich über Kreuz liegen und sich gegenseitig angiften. Was ihm in letzter Zeit des Öfteren gelungen ist. Er steigt hinauf in sein mit Büchern und Papieren vollgestopftes Zimmer, dessen Wände mit Zitaten und Merkzetteln gepflastert sind. Von dort durchs Fenster auf einen Sims und dann mittels eines kniffligen Manövers aufs Dach. Sein Lieblingsplatz ist ganz oben auf dem First. Ganz oben sitzt er am liebsten, lässt sich den warmen Wind ins Gesicht wehen und blickt hinaus auf die dunkle, nur hier und da von Lichtern durchstochene Ebene.“

„Das Versprechen“ von Damon Galgut gleicht in vielerlei Hinsicht den Romanen von Claude Simon, insbesondere dem Roman „Das Gras“. Hier wie dort werden geschickt moderne Erzählweisen verknüpft, um ein Geschichtsbild entstehen zu lassen, das Schmerz und Verzweiflung in den Vordergrund schiebt, ohne an Anklagekraft zu verlieren. Er gleicht auch sehr „Gier“ von Elfriede Jelinek, die einen selbigen kommentierenden Erzählstil pflegt und einer sich distanzierende Beobachtungsweise bedient. Aber vor allem gleicht er John M. Coetzees Roman „Schande“, der ebenfalls in Südafrika spielt und eine ganz ähnliche Thematik nur auf andere Weise verhandelt.

Mit anderen Worten Damon Galgut hat mit „Das Versprechen“ einen Roman geschrieben, der mit jedem Satz, jedem Wort, das Versprechen einlöst, mit Literatur nicht nur Geschichten zu erzählen, sondern die Welt auch beschreiben und wortgewandt bereichern zu können.

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