Elfriede Jelinek: „Angabe der Person“

Elfriede Jelinek: „Angabe der Person“

Mit dem Tod im Rücken destruktiv fürs Neue und Lebendige geschrieben.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022/…

Elfriede Jelinek schreibt keine klassischen Texte. Ihre Romane gelten zwar als Prosa, gleiten jedoch stets über ins transkribiert Mündliche, und ihre Theaterstücke besitzen zwar Regieanweisungen, aber unterlaufen das Mündliche durch wild ineinanderverschlungene Wort- und Bedeutungskaskaden. „Angabe der Person“ setzt dieses janusköpfige Paradigma fort. Der Text endet mit dem Versprechen „Uraufführung im Dezember 2022“, aber scheut keine Kosten und Mühen, eine Vortragssituation des unbearbeiteten, unredigierten Textes ins Höchstunwahrscheinliche zu verschieben:

„Und dennoch, so viele folgen mir nach!, nein, ich schau nach: Es sind gar nicht so viele. Das ist so tief, das Ganze ist zu tief für dich, Elfi!, du kannst eh kaum schwimmen. Ach was!, wer liest das schon, wer liest das denn, lese ich gerade über mich. Aber bitte, man kann es sich doch auch mal anschauen, selbst wenn man nicht lesen mag!“

Wie in allen Stücken und Romanen von Jelinek gibt es lediglich eine Makulatur als Handlungsrahmen. Hier wird dieser von einer Hausdurchsuchung gestellt, die Jelinek ereilt, wegen einer Steuersache. Die juristische Begründung lässt sich aus dem Text schwer extrahieren. Jedenfalls werden ihre Schriften, die Korrespondenz und Festplattendaten beschlagnahmt. Es kommt zu einer Gerichtsverhandlung, und Angaben zur Person werden fällig. Der Willkür und Macht der steuerbehördlichen Unterstellungen gegenüber begegnet sie mit einem knapp zweihundert Seiten langen, dicht bedruckten, als Schreibmaschinen-Typoskript designten Pamphlet gegen den Staat, die Menschen, insbesondere gegen das Deutsche und die Gegenwart überhaupt. Das literarische Ich ist wütend:

„Ihre Herrschaft, jede Herrschaft, jede anständige Herrschaft dauert immer noch an, bis sie abgesagt wird, das stelle ich mal so in den Raum, welcher zum großen Teil von einem Schreibtisch samt Schreibgerät eingenommen wird, in das ich dies hier hineinhacke, auf das ich sinnlos einhacke wie eine alte Krähe auf einen Tennisball, der ihr aber immer wieder wegrollt. Ich hole mir jetzt nichts zurück, es gäbe mir auch keiner was. Ich muß mir alles verdienen.“

Jelineks Texte leben durch einen autopoietischen Stil. Sie wuchern und entkleiden. Sie enttarnen und entblößen. Sie entschlacken und zerstören. Sinnbollwerke werden gesprengt. Denkgewohnheiten zerfetzt. Das Narrative bleibt hilflos hinter dem kreisenden, alles mit sich in den Abgrund ziehenden Ekel vor Erklärungs- und Bedeutungsmuster zurück. Wer sich also nicht auf den Text einlässt, versteht ihn nicht. Er liest sich performativ, assoziativ, als intellektuelle Rosskur, den unhinterfragt hingenommenen Allgemeinplätzen auf die Schliche zu kommen.

„Ab sofort wird einem überhaupt nichts geglaubt, wenn der Staat nach einem greift. So hat er das schon immer gemacht, der Staat, einmal der, dann der andre, dann wieder der eine. Es wird einem nichts geglaubt. Das ist überhaupt seltsam mit der Wahrheit: Was ist Wahrheit? Wo finde ich sie? Wenn man die Wahrheit sagt, glauben einem noch weniger Leute als sonst. Ist das nicht komisch? Die Wahrheit ist eine Lüge, so wie die Nähe dem Menschen am fernsten bleibt, achten Sie denn wenigstens die Wahrheit des Seins? Eher weniger, gell?!“

Wer Jelineks Texte vorher mag, wird auch „Angabe der Person“ mögen. Wer mit ihren Texten vorher nichts anfangen konnte, wird aus diesem auch nicht schlauer. Hier macht sie für ihre Person noch weniger Werbung als in allen anderen Texten zuvor. Sie hetzt. Sie beleidigt. Sie schimpft, jammert, klagt an im vollen Bewusstsein der Sinnlosigkeit ihres Tuns. Wer sich auf den Text jedoch konzentriert einlässt, bekommt Impulse, Denkanstöße, neuen Mut und Kraft, selbst zu denken, selbst zu entscheiden, sich selbst in einer sehr unübersichtlich gewordenen Welt zu verorten. Sie hilft, indem sie nicht hilft und nichts und niemandem entschuldigt, und sie schafft Bedeutsames, indem sie Bedeutung und Narrative jedweder Provenienz auflöst. 

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