Emmanuel Carrère: „Yoga“

Emmanuel Carrère: „Yoga“

Von einer Reise durch das Nichts und anderen Halbwahrheiten.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Emmanuel Carrère verlangt es nach Ruhm und Ehre, sucht Ruhe und Gelassenheit, die innere Entspannung, die ihm zwischen Lust, Rausch, Sex und Alkohol zumeist versagt bleibt. In seinem Roman Yoga bricht er nun eine Lanze für fernöstliche Philosophien, Weisheiten, Gurus und Lebenskünstler und gibt seinem Publikum auch gleich eine Definition von Yoga mit auf dem Weg:

Das ist übrigens auch die ursprüngliche Bedeutung des Worts Yoga: zwei Pferde oder zwei Büffel in dasselbe Joch einspannen. Man wechselt von einem zum anderen, vom anderen zum einen. Wenn man versucht, seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was man tut, und sich bewusst zu machen, wenn auch nur ein winziges bisschen, was das Ziel der Angelegenheit ist, hat man keine Zeit, sich zu langweilen.

Er ordnet sich also unter, spannt sich in ein Joch, um der Langeweile zu entfliehen: Selbstkasteiung als Ausweg, um der inneren Krise aus dem Weg zu gehen. Der Roman, der auf dem ersten Blick kaum ein Roman ist, eher ein Sachbuch liest sich trocken, nüchtern, ja leicht wie ein Kochbuch, eine Art Reisebericht von einem Mitreisenden, der zufällig neben einem im Flugzeug sitzt und nichts Besseres zu tun hat, als von dem eigenen Lebensweg zu berichten. Im Plauderton schreibt Carrère über dieses und jenes und will sich auch nicht recht für irgendetwas entscheiden:

Letztlich fing sie [Hélène] sich wieder, dann lernte sie einen Mann kennen, François, der zufällig einer meiner ältesten Freunde ist und es läuft gut. Theoretisch gibt es keinen Grund, warum sie in dieser Erzählung weiter auftauchen sollte – doch in dieser Erzählung tauchen so viele Dinge auf und wieder auf, die ich nicht vorhergesehen und noch weniger herbeigesehnt habe …

Eigenartigerweise taucht sie auch nicht mehr auf. Die Sprache ist unterkühlt, prosaisch. Die Sätze kurz, einfach. Die Struktur nebensächlich. Carrère gibt sich keine Mühe, den Stoff zu gestalten. Er verknüpft tagespolitische Ereignisse mit den eigenen Emotionen, thematisiert den Anschlag auf Charlie Hebdo, die Flüchtlingskrise, die Smartphone-Kultur, die Angst vor dem Tod und wie ihm Yoga geholfen und nicht geholfen hat, die eigene Depression zu überwinden. Dass das Unternehmen von Anfang zum Scheitern verurteilt gewesen ist, erkennt er selbst:

Alles, was wirklich ist, ist per Definition wahr, aber manche Wahrnehmungen der Wirklichkeit haben einen höheren Wahrheitsgehalt als andere, und das sind nicht die angenehmsten. Ich glaube zum Beispiel, dass der Wahrheitsgehalt bei Dostojewski höher ist als beim Dalai Lama. Kurz, mit meinem heiteren feinsinnigen Büchlein über Yoga war ich irgendwie angeschmiert.

Leider bleibt der Humor konsequent auf der Strecke und mit dem höheren Wahrheitsgehalt ist es auch nicht weit her, wenn am Ende des Buches herauskommt, dass vieles von dem autobiographisch Erzählten erfunden und fiktional ausgestaltet wurde. Ein seltsames Zwitterwesen entsteht, dass sich nicht sagen lassen will, was es ist und nicht ist. Nur die Unzufriedenheit mit sich selbst bleibt bestehen, wenn er schreibt:

Und nun stehe ich mutterseelenallein da, ohne Frau oder impotent, wenn ich zufällig doch mal eine abschleppe, den Kragen voller Schuppen, den Schwanz voller Herpes, unfähig zu schreiben und ohne jeden Glauben an dieses Buchprojekt [Yoga], das mir einige Wochen zuvor noch so richtig, wichtig und machbar erschienen war, denn es hätte ja gereicht, erst einmal zu erzählen, was mit mir los ist.

Wer Berichte dieser Art mag, der lese von Michael Crichton Im Kreis der Welt, in welchem dieser von einer Begegnung mit einem Kaktus so unterhaltsam spricht, dass man mit dem Lesen nicht mehr aufhören möchte. Oder man lese Douglas Adams Die letzten ihrer Art, genauso melancholisch wie Yoga, doch freundlich und offen und selbstironisch. Humor nämlich fehlt Carrère durchweg. Wer es ernster mag, kann zu Henri Michaux Turbulenz im Unendlichen greifen, oder wenn die geistige Umnachtung, Zerrüttung und Selbstzerstörung Thema ist, der findet in Louis Althusser Die Zukunft hat Zeit genügend Stoff und Anlass, das Fürchten vor Selbstillusionen in der geschlossenen Station von Saint-Anne zu lernen.

Der Roman Yoga von Emmanuel Carrère ist besser als die meisten Gegenwartsromane geschrieben. Der Stil ist flüssig und freundlich. Er liest sich wie eine Reise durchs Nichts und wird dadurch selbst zu einer Form der Meditation, leider jedoch ohne, wie anfangs noch versprochen, der Langeweile zu entkommen.

5 Gedanken zu „Emmanuel Carrère: „Yoga““

    1. Ich glaube auch, dass das Buch dir gefallen könnte – es hat etwas Heiteres, Lockeres, und sehr Lebensbejahendes. Ich würde beinahe meinen, als Hörbuch von ihm selbst gelesen, würde das viel mehr Sinn ergeben, seine Stimme, seine Fröhlichkeit zu hören, beim guten Wein oder Ähnliches. Nur als reiner Text fand ich den Hybrid zwischen Fiktion und Biographie verworren – da es einfach nicht klar ist, ob er manchmal weiß, wovon er spricht, ob er es überhaupt erlebt hat, und was er dann mit diesen abschweifenden Episoden sagen will … aber neben ihm auf ein Flugzeug zu warten, kann ich mir gut vorstellen, oder als Ein-Mann-Stück auf der Bühne, wie er herumschreitet, die Arme hebt und sich selbst dekonstruiert. Auch dies, aber möglicherweise gelingt dir das in einer Lektüre zu entfachen, was bei mir irgendwie schief ging.

  1. “Er erscheint wie das Transkript eines Gespräches, das man mit einem sehr narzisstischen und selbstbezogenen, nicht unbedingt uninteressanten Menschen geführt hat.”
    So erging es mir mit allen Carrerre Büchern.. Danke für diese Rezension. Ich werde mir “Yoga” ersparen.

    1. Ja, ich werde, denke ich, auch kein weiteres Buch von ihm lesen. Das war beinahe irritierend formlos und inkonsistent. Es sei denn, man möchte sprachlich die Dekonstruktion einer Selbstillusion miterleben, die jedoch gekonnt den Angriff abzuwehren versteht und sich daraufhin mit einer neu gewonnenen Patina Selbstzufriedenheit eindeckt. Im Grunde verlieren diese Autoren (bspw. Martin Walser, Emmanuel Carrère, Michel Houellebecq) jeden Glauben an sich. Sie rennen in die Sackgasse und wundern sich, stehen nun da und warten und verstehen die Welt nicht mehr. Aus dieser Warte aus gesehen besitzen sie fast aufklärerischen Charakter – mir ist die Variante Selbstbelustigung aus “Die Wörter” von Jean-Paul Sartre lieber, vielleicht, weil ich nicht das Gefühl und den Glauben an Sackgassen teile.

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