Eva Christina Zeller: „Unterm Teppich“

Eva Christina Zeller: „Unterm Teppich“

Mit ungeschützter Offenheit als Schutz. Inspirierender Mut zum Ausdruck.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Zwischen Prosa und Lyrik, zwischen Traumdeutung und Autobiographie hin und her pendelnd, verknüpft Eva Christina Zellers Unterm Teppich – Roman in 61 Bildern ihre Welt mit der aller anderen. Sie berichtet von Krankheit, Schmerz, von Liebe und Enttäuschung, von Verheißung und Freiheit und gesellt sich als verbindendes Element zwischen Helga Schuberts Vom Aufstehen und Friederike Mayröckers da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete. Formwille und Fabulierlust als Reise der eigenen Authentizität entgegen:

Ich mag keine erfundenen Geschichten. Die erlebten sind doch schon schwierig genug. Aber das ist nur eine Seite.

In Unterm Teppich gibt es viele Seiten, wiewohl der Roman vergleichsweise kurz geraten ist. In 61 Bildern durch die eigene Enttäuschung gleicht der Reise in 61 Tagen um die Welt. Das lyrische Ich widerfährt viel Schreckliches zwischen Neuseeland und Norwegen. Die allgegenwärtige Gewalt gegen Frauen, die Lügen zwischen den Menschen, die selbstauferlegten Sprachlosigkeiten, Geheimnisse, Entsagungen hinterlassen Spuren, insbesondere die tödlich verlaufenden Krankheiten von Freunden und Geliebten. Das lyrische Ich lässt sich aber nicht entmutigen. Der Formwille bricht dem Aufbruchswunsch und Lebensmut bahn:

Es sei zwar unpassend, am Bett einer Sterbenden zu essen, aber es sei auch unpassend, was hier geschehe [die Intubation]. Sie sprach mit der Mutter, ohne die Lippen zu bewegen, nur in Gedanken, und fragte sich, wie sie all das Unpassende ihres Lebens im letzten Moment noch passend machen könnte. Vielleicht gibt es kein gelingendes Leben, wir denken in falschen Kategorien von gelingend und nicht gelingend. Wer soll das beurteilen?

Zeller lässt sich nicht bange machen. Sie durchschreitet die eigenen schmerzlichen Erinnerungen, all das, was über die Jahre unter den Teppich gekehrt wurde, zieht es hervor und bestaunt es, dreht und beleuchtet es mit neuen und alten Augen, denen des Kindes, der enttäuschten Tochter und der verlassenen alleinerziehenden Mutter. Die Sprache ist geformt, entschieden gewählt. Der Stil durchgängig auf dem schmalen Grat zwischen Poesie und Prosa, in einem außerordentlichen Gleichgewicht, fast schwerelos gehalten mit spielerischer und wortgewandter Leichtigkeit.

Stiftskirche, Südseite. Von dort seh ich auf die Alb, Verheißung, Ziel der Augen, der Samstagnachmittage, wäre die Luft hier nur würzig wie dort oder würde freier schmecken, ein wenig vermischt mit dem Blick hinunter ins Land, zerpflügt, zersiedelt, zerstückelt, da war mal ein Gletscher, später die Römer. Dort oben, Dreifürstenstein, stapf ich durch den Schnee, die Wanderzeichen sind nicht zu lesen, zugeschneit. Da mach ich die Ohren zu und bin allein auf der Welt.

Eva Christina Zellers Roman leuchtet. Kein Satz zu lang. Kein Wort zu viel. Selbst die Anglizismen passen sich sanft ein. Die Sprachmelodie bindet alles zusammen, so dass nichts auseinanderfällt. Das lyrische Ich bleibt sich selbst und seiner Welt treu, geborgen in der Sprache, beheimatet in seinem Stil, findet es trotz aller Unbill stets das Gleichgewicht. Von Helga Schubert und Friederike Mayröcker abgesehen, findet sich viel von Hölderlins Hymnen, Romanen und Epos-Fragmenten wieder, aber auch von Louise Glück Winterrezepte aus dem Kollektiv und Sarah Kirschs lyrischer Prosa, irgendwo zwischen Drachensteigen und Kommt der Schnee im Sturm geflogen, allesamt Bücher also, die den Mut zur Sprache nähren.

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