Florian Illies: “Liebe in Zeiten des Hasses”

Florian Illies: "Liebe in Zeiten des Hasses"

Weniger als Wikipedia. Mehr als ein Berliner Telefonbuch aus den 20er/30er Jahren.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Was immer sich Florian Illies mit seinem Werk „Liebe in Zeiten des Hasses“ vorgenommen hat, eines ist ihm mit Sicherheit gelungen, die viel beschriebenen Persönlichkeiten der Geisteswelt der Jahre von 1929-1939 mit Lächerlichkeit und Armseligkeit zu überziehen. Um es gleich vorab zu sagen, es handelt sich weder um einen Roman noch um ein Sachbuch. Es handelt sich um ein Who-is-Who der Literaturszene Deutschlands vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Dieses Who-is-Who ist wenig mehr als ein Telefonbuch. Namen nach Namen werden genannt und durch Liebschaften in bester Klatsch- und Tratschmanier in Verbindung gebracht. Wer mit wem und wann und wie lang. Illies selbst fasst es mit seinen eigenen Worten am besten zusammen.

„Sie [Leni Riefenstahl] sei, so sagt ihr Geliebter und Verlobter, der Regisseur Harry R. Sokal, süchtig nach »Erfolgsberauschtheit«. Und offenbar auch nach der Kraft der Fiktion – bis heute ist unklar, welche Geschichten ihrer Memoiren wahr sind und welche erfunden. Auf jeden Fall gab es viele Männer.“

Mehr gibt es anscheinend über Leni Riefenstahl, Alfred Kerr, Georg Grosz, Marlene Dietrich, über Theodor W. Adorno, Thomas, Klaus und Erika Mann, über Hermann Hesse, Kurt Tucholsky und so weiter nicht zu sagen, und mehr scheint Illies auch nicht in Erfahrung bringen zu können: Sie alle hatten mit Sicherheit Liebschaften. Sie stritten. Sie verhielten sich extravagant, und ja, sie schrieben auch Bücher und Theatertexte zwischen Affären und Ehekrisen und Kindergeburten. Leider dokumentiert Illies auf Schritt und Tritt, dass er an nichts als an dem sozialen Kitt interessiert ist und serviert eine Trivialität nach der anderen, die weder Werk noch die das Werk Erschaffenden näher beleuchten oder gar interessant werden lassen.

„Was für ein Frühjahr für Bertolt Brecht. Am Ostersamstag hat das Stück ‚Pioniere‘ in Ingolstadt seiner früheren Geliebten Marieluise Fleißer Premiere im Theater am Schiffbauerdamm. Ins Programm schreibt er: »Man kann an dem Stück gewisse atavistische und prähistorische Gefühlswelten studieren.« Zum Beispiel die prähistorischen Gefühlswelten des Bertolt Brecht. Im Stück nämlich erfährt das Dienstmädchen Berta, dass ihr Geliebter Korl nicht nur andere Frauen neben ihr hat, sondern darüber hinaus verheiratet ist und sogar Vater.“

Wer weder Brecht, Fleißer noch das Stück ‚Pioniere‘ kennt, wird aus dem Gesagten auch nicht schlauer. Wer es kennt, merkt, dass hier weder Sachverstand glänzt noch etwas zu den dramaturgischen, dialogischen, theater-idealtypischen Beiträgen gesagt worden ist, die Fleißer geleistet hat. Reine Verdachtshermeneutik wird praktiziert, die in den Kunstwerken nur oberflächliche Hinweise und Anschlussmöglichkeiten suchen, welches Liebesdrama dort ‚im Grunde‘ verhandelt und nur dürftig verschleiert worden ist. Dass ein Kunstwerk Eigendynamik besitzt, eine medial-hermetische Ausdrucksform erzeugt und somit von Interesse bleibt, auch noch nach Jahrzehnten, kommt Illies nicht in den Sinn. Man fragt sich dann nur, weshalb er über diese und nicht andere Menschen geschrieben hat. Ginge es um Könige, Königinnen, um Fürsten und Debütantinnen, um Prinzen und die Gefolgschaft von Lakaien, wäre möglicherweise auch nicht mehr, aber auch nicht weniger zu sagen gewesen.

Vielleicht war dies auch der geheime Sinn und Zweck von Florian Illies völlig überflüssigem Unternehmen, nämlich den seiner Meinung nach wahren Grund von dem ganzen Kulturbetrieb bloßzulegen, dass Männer und Frauen Frauen und Männer lieben, und eigentlich sonst nichts von Interesse ist. Da hilft es auch nicht auf Schritt und Tritt von der „Größe“, „dem Jahrhundertwerk“ und „Genies“ zu sprechen. Illies dokumentiert auf fast 500 Seiten kein Interesse für Details, für Sprache, Form und Stil, und es beschleicht einem am Ende das Gefühl, dass er mit den anti-intellektuellen Schergen jener Jahre eher sympathisiert, als sie anprangert. Das stimmt sicherlich nicht. Der Eindruck entsteht dennoch, und Schenkelklopfer und pubertäre Kalauer à la „Generation Golf“ helfen da auch nicht mehr.

„[…] der Schneefall wird heftiger, aber Remarque [Autor von „Im Westen nichts Neues“] spürt, wie eine große Last von seinen Schultern fällt. Am ersten Schweizer Parkplatz fährt er rechts ran und steckt sich eine Zigarette an. Der Rauch mischt sich zwischen die Schneeflocken. Er weiß nicht genau, was jetzt kommen wird. Nur das weiß er: endlich etwas Neues.“

Dasselbe habe ich mir auch gewünscht, und es leider nicht bekommen. Ein wahres Trauerspiel eines gelangweilten Kultur-Feuilletonisten.

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