Heinz Strunk: „Ein Sommer in Niendorf“

Eine Lehre vom Zerfall als Kessel Buntes. Guter Fond, aber lieblos abgeschmeckt.

Ausführlicher und vielleicht begründeter:  https://kommunikativeslesen.com/2022/…

Heinz Strunk heißt harter Tobak, heißt Elend, Dreck, schmierige Kost, ein Abtauchen in das Elend, Torkeln, in die Abgründe der Gegenwart. Heinz Strunk heißt volle Fahrt voraus, mitten rein statt nur dabei, volle Kanone und Schluss mit Lustig. Sein neuer Roman „Ein Sommer in Niendorf“ setzt dieses Opus konsequent fort. Männliches Elend, ohne Zensur.

„Er tritt in etwas und ist sich sicher, dass es Aas war, obwohl er noch nie in Aas getreten ist. Er stolpert, fängt sich mit einer Hand ab, greift in etwas Weiches, Feuchtes; die Hand rutscht ab, und er schlägt mit voller Wucht aufs Gesicht.“

Georg Roth, promoviert, Jurist, gönnt sich eine Auszeit an der Ostsee, nahe Lübeck, um dort eine Lebensbilanz zu ziehen, und zwar in Form eines Romanes, im Gepäck vierundvierzig Tonbänder mit der Stimme seines Vaters. Das Ziel: Einen Roman wie Thomas Mann „Buddenbrooks: Verfall einer Familie“ zu schreiben. Aber aus dem Leben gerissen, zwischen Erschöpfung und Enttäuschung, dass seine Familie und Ehe in die Brüche gegangen ist, kaum Kontakt mit seiner Tochter, geschieden von seiner religiös gewordenen Frau, rutscht Roth in den Alkoholismus ab. Er weiß mit sich nichts anzufangen und säuft und säuft, was das Zeug hält.

„Wie sieht er eigentlich mittlerweile aus? Er stellt sich mit dem Gesicht an den Spiegel, bis er mit der Nasenspitze das Glas berührt. Nicht wiederzuerkennen. Er weiß nicht mehr, wer er ist. Er ist irgendetwas anderes geworden. Auf seinem dörrfruchtartigen, papierhäutigen Gesicht hat sich eine seltsame Färbung ausgebreitet, eine kranke Blässe, die Bartstoppeln sind scharf und nagelbretthart. Seine Haare stehen in alle Richtungen ab, wodurch sein Kopf aussieht wie eine Klobürste.“

Aus dem Räderwerk seines Alltags entflohen, gerät er in ein neues. Er bandelt mit seinem Vermieter Markus Breda an, sucht letzten, unalkoholisierten Kontakt zu seinen Nachbarn Herr und Frau Klippstein, verliebt sich in eine junge Bedienung in seinem Stammlokal, findet Verständnis und Ruhe bei Bredas Lebensgefährtin Simone und säuft und säuft. Mit der Literatur klappt’s nicht. Mit der Tochter auch nicht. Mit der Ex-Ehefrau schon gar nicht. Im Grunde klappt nichts.

„Als er wiederkommt, ist es dunkel. Kein Mond, keine Sterne, kein Nichts. Die Dunkelheit scheint immer dichter zu werden und sich in eine andere Art Dunkelheit zu verwandeln.“

Die Stärke dieses Romans von Strunk liegt in der dieses Mal, bis auf wenige Ausnahmen, durchgehaltenen Verfolgerperspektive. Der personale Erzähler hängt Roth auf der Schulter und lauscht diesem die Gedanken und Gefühle ab. Wertungen, voyeuristische Einsprengsel finden kaum statt. Die Erzählperspektive wird eingehalten und so ein stimmiges, brüchiges Leben vorgestellt. Ausweg: Sackgasse. Die Abwesenheit jeder Begründung stärkt den Eindruck. Es wird fast über die gesamte Zeit schlicht und schnell erzählt, über Dreckiges, Eitriges schwadroniert. Der körperliche Zerfall, der Alkoholkonsum, die vielen Dönerteller gereichen zu ekelerregenden Ausflügen zwischen Mistkäfern, Blutegeln, herausgequollenen Gedärmen und sich in ihrem Kot windenden Aasleibern.

Heinz Strunk schreibt in der Tradition von Günther Grass, dem Ekel in die Augen schauend, die hässlichsten Wörter, die es gibt, zu suchen, zu finden und anzuwenden, um das Leben in all seiner Erbärmlichkeit dem Publikum vor Augen zu führen. Dem kurzen und knappen Roman gelingt dies ganz gut. Die abrupten, stichwortartigen Beschreibungen, das einfach, in wenigen Absätzen durchgezogene Ende, die etwas Larifari herangezogenen Literatur-Zitate (Bachmann, Celan, Mann) lassen auf ein ungeduldiges Schreiben schließen, auf einen Schriftsteller, der schnell wieder ein Buch beenden möchte, der selbst keine richtige Lust hat, dem Buch den letzten Schliff zu geben.

Ein Rohdiamant ist es nicht. Aber eine lohnenswerte Lektüre über einen drohenden und sich abzeichnenden Zerfall ist es doch. Skizzenhaft ausgeführt, aus dem Ärmel geschüttelt, mit Ekligem und Abscheußlichkeiten abgeschmeckt und garniert unterhält „Ein Sommer in Niendorf“ ganz gut. Wer dasselbe Thema nur mit Tiefgang und weniger Allüren sucht, dem empfehle ich Judith Hermanns „Daheim“ oder wenn schon, denn schon Fernanda Melchor „Paradais“ voller Gewalt und Konsequenz.

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