Jan Faktor: „Trottel“

Jan Faktor: „Trottel“

Eine Welt in Phrasen, Scherben und Quisquilien … lieblos zusammengekleistert.

Ausführlicher und vielleicht begründeter:  https://kommunikativeslesen.com/2022/…

Die Gattung der Schelmenromane erhält einen weiteren Exponenten. Solche Romane zeichnen sich durch eine Erzählposition aus, die sich selbst durch den Kakao zieht. Alles ist in solchen Texten erlaubt: Ironie, Schwadroniererei, Abschweifungen und Täuschungsmanöver, auch krasseste Widersprüche und inhaltliche Inkonsistenzen. Da die verbindliche Erzählposition von Anfang an aufgekündigt wird, lässt sich im Grunde auch seitens des Publikums keine berechtigte Kritik mehr üben. Der Autor hat doch schon bereitwillig zugegeben, dass er nichts tauge. Wer also zu einem Buch namens „Trottel“ greift, es kauft und zu lesen beginnt, riskiert selbiger selbst zu werden:

„Erzähle ich zu viel Überflüssiges – oder sogar den reinen, unsauber randomisierten Unsinn? Das könnte der eine oder andere Begappte, Begrabbelte oder Graubegraulte vielleicht meinen. Dabei bremse ich mich – bei diesem konkreten Lab-Project auf jeden Fall – relativ brav und schreibe nur einen Bruchteil dessen auf, was mir so durch den Kopf geht.“

Wohlgemerkt handelt es sich bei Jan Faktors Text um keinen kurzen. Er umfasst knapp 400 Seiten, auf denen er ganz und gar nicht mit Platz und Inhalt haushält. Dass er behauptet, sich dennoch zurückgehalten zu haben, mag als weiterer Schelmenstreich gelten, denn auf den Hunderten von Seiten wird über alles und jedes berichtet, über Chicorée, über Betonblöcke, vermoderte Rohre in Wiesen, über Pumpernickel und Rammstein, über Sackkarren und Theodor W. Adorno, über Eheprobleme, die DDR und andere Wanddurchbruchsphantasien, und ach ja, auch über den Selbstmord seines Sohnes:

„Mein Sohn wurde genauso wie ich als Trottel geboren, er kämpfte dagegen ehrenhaft und lange genug unter stark widrigen Vorzeichen – und er hat sich schließlich aus Scham über sein in eine Sackgasse geratenes Trotteltum umgebracht.“

Der Vater jedoch lobt sich sein eigenes Trotteltum und schwadroniert unchronologisch über alles, was ihm gerade in den Sinn kommt, insbesondere über die Zustände und Umstände im Ostblock der 70er und 80er Jahre. Hierbei lässt er sich weder vom direkt angesprochenen Lektor, noch von der Grammatik oder vom bestehenden Wortschatz beirren. Sprachlich lässt Faktor keinen Stein auf dem anderen, aber weniger wie Elfriede Jelinek, um Phrasen zu unterminieren, als aus Jux und Dollerei, aus dem puren Vergnügen sein Publikum zu irritieren und irrezuführen:

„Am Ende garantiert dieses Generalintegral [des wirkungsmächtigen Textes], dass der geschaffene Monolith trotz aller einerseits zentrifugalen oder aber zur Implosion neigenden Kräfte und andererseits trotz aller resonanzBerstgeilen oder interferenzDumpfnivellierenden Kräfte ein doch ansprechendes Gebilde bleibt.“

Wer keine Angst vor Fremdwörtern und Neologismen hat, den beeindrucken Faktors mühevolle Versuche nicht, die Sprache an der Nase herumzuführen. Es gelingt ihm nicht. An keiner Stelle im Text schließen sich die Wortformulierungen verbindlich zusammen. Vielmehr stellt sich der Eindruck ein, dass der Text wieder und wieder durchgegangen, gestört, unverbindlich verunklart worden ist, so dass die Wortschöpfungen in „Trottel“ nur einen einzigen Eindruck zu transportieren vermögen, nämlich dass der Autor stets bemüht gewesen ist.  

Wer experimentelle Literatur zu schätzen mag, ist mit dem diesjährigen Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse Tomer Gardi „Eine runde Sache“ besser beraten, obgleich nur im ersten Drittel seines Buches. Die Anzüglichkeiten und Zelebrationen des freien Lebens bringen die von Faktor viel zitierten Henry Miller and Anaïs Nin besser zu Papier, und zwar in allen ihren Werken, und wer am DDR-Alltag interessiert ist, erhält mit Jenny Erpenbecks „Kairos“ eine verbindliche und intensive Beschreibung, die unter die Haut geht. Bei Jan Faktor bleibt am Ende nicht viel übrig als biederer Eklektizismus und versteckte, sprachtranszendentale, alles zermürbende Trauer um einen verstorbenen Sohn.  

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