Jan Weiler: „Der Markisenmann“

Schmerzlose Schmonzette mit Herz

Ausführlicher und vielleicht begründeter:  https://kommunikativeslesen.com/2022/…

Schreiben, um zu unterhalten, heißt mit einem Text zu amüsieren, zu rühren, mit Worten Bilder zu erzeugen, Situationen zu beschreiben, die mitreißen, und Figuren zu erschaffen, die interessieren. Interessieren kommt vom augenblicklichen Dabei- und Dazwischen-Sein, und Jan Weiler hat mit seinem Roman „Der Markisenmann“ genau dies getan – ein Dabei- und Dazwischen-Sein verfasst, das augenblicklich mitreißt, unterhält, ohne das geringste zu hinterlassen. In etwa wie ein Urlaub am Strand oder eben die Zeit, die die Ich-Erzählerin des Romans, Kim, bei ihrem Vater, Ronald, in Duisburg verbringt:

„Es war eben ein Urlaubsort. Ich meinte es nicht böse. Aber für Alik, der sich so sehr gewünscht hatte, dass ich bei ihm blieb, war es eine katastrophale Antwort. Denn er wohnte ja hier. Er machte keinen Urlaub. Der Schrott und die rotbraune Erde, das kniehohe Unkraut, der modrige Geruch aus dem Kanal, die schwere Luft vor einem Gewitter und das zugige Häuschen seiner Eltern waren seine Heimat. Sie war gut genug für ihn, aber offensichtlich nicht gut genug für mich.“

Die fünfzehnjährige Kim benimmt sich daneben, klaut, bleibt sitzen, ist ein Störenfried in der eigenen Familie und leistet sich ein Ding nach dem anderen, bis ihrer Mutter und ihrem Stiefvater der Geduldsfaden reißt. Statt sie nämlich mit auf den Familienurlaub nach Miami zu nehmen, verfrachten sie sie kurzerhand zu ihrem leiblichen Vater nach Meiderich in Duisburg, in eine Lagerhalle voller Markisen, die dieser im Ruhrgebiet auf Tagestouren an den Mann und die Frau zu bringen versucht. Mit mäßigem Erfolg. Auch seine Tochter ist nicht sehr beeindruckt. Zuerst.

„Aber nun verwandelte sich dieser Eindruck völliger Harmlosigkeit in eine andere Form der Zuneigung. Ich mochte, wie er mit mir war, dass er mich ernst nahm, vielleicht sogar zu ernst. Er behandelte mich gleichzeitig mit großer Zurückhaltung und echter Besorgnis. Er hatte ein Bett samt Decke und Kissen, Laken und Bezug gekauft, dazu Kinderessen und Würstchen. Mehr hatte er nicht zu bieten, und natürlich schämte er sich dafür. Vielleicht tat er deshalb so fröhlich, als er sich schließlich verabschiedete, um zu seiner Tagestour aufzubrechen.“

Die Story lässt sich kurz zusammenfassen: Tochter trifft ihren leiblichen Vater nach 15 Jahren zum ersten Mal und lernt die Geschichte ihrer Familie kennen. Diese Geschichte hat mehr Tiefen als Höhen, beginnt in der kurz vor dem Ende stehenden DDR, in Beelitz, und reicht bis in die Gegenwart nach Köln und Duisburg. Dazwischen ereignet sich allerhand, beispielsweise wird Kim geboren, trennen sich die Eltern und verheimlichen der Tochter, wer ihr leiblicher Vater gewesen ist. Am Ende fällt das ganze Kartenhaus in sich zusammen

„Ich lernte meinen Vater kennen, wenn er niedergeschlagen, aber ungebrochen von seinen einsamen Verkaufstouren kam, und wenn er heiter bis euphorisch seine Abschlüsse notierte. Am Ende kannte ich sogar die traurige Lebensgeschichte von Ronald Papen. Nur meinen Vater habe ich selten gespürt, denn diese Rolle vermochte er nicht zu spielen. Und ich denke, er wollte es auch nicht. Nach so vielen Jahren ins Leben seiner Tochter zu fallen wie ein Konzertflügel aus dem fünften Stock und nach dem Aufprall einfach dort weiterzuspielen, wo er knapp vierzehn Jahre vorher aufgehört hatte, wäre unmöglich gewesen.“

Was den Roman von Jan Weiler auszeichnet, er rührt. Was ihn nicht auszeichnet, Ideenreichtum. Die Geschichte ist platt, die Auflösung vorhersehbar und austauschbar, die Psychologie der Akteure gar nicht bis kaum vorhanden. Der liebevolle, arme, sich schuldig fühlende Vater rührt jedoch trotz und wegen aller zur Schau getragenen Simplizität. Er gibt einfach sein Bestes, der Tochter eine gute Zeit in seiner Lagerhalle zu bereiten, und seine Freunde auf dem Gewerbehof tragen alles ihnen Mögliche dazu bei, die Trinker, Rentner, Skatspieler, Schrottverwerter und Brummifahrer, wie sie wetten, feiern, trinken und sich necken.

„Der Markisenmann“ ist insofern ein Rührstück und als solches durchaus gelungen. Als Zeitgeschichte taugt er nicht. Am ehesten lässt er sich mit einem Kiba-Saft oder einer Schwarzwälder-Kirschtorte vergleichen, die schmeckt, während man sie genießt, von der man sich aber etwas voll fühlt, sobald man sie zur Gänze verschlungen hat. Die Sprache ist einfach, schlicht. Die Sätze kurz. Die Wörter sachlich, nüchtern. Allegorien, Metaphern, Vergleiche sind rar gesät, und wenn sie doch auftauchen, hinken sie schneller als sie zu überzeugen vermögen.

„Gleichzeitig schien er [Kims Vater] aber auch aufgeregt, irrlichternd, wie ein kleiner Junge, der betäubt von Duft und Licht um den Weihnachtsbaum fliegt, überwältigt von den Möglichkeiten des Lebens und der Auswahl an Geschenken, die es einem bereitet.

Am ehesten lässt sich „Der Markisenmann“ mit Steffen Kopetzkys „Monschau“, mit „Stay away from Gretchen – Eine unmögliche Liebe“ von Susanne Abel, mit Johanna Adorjáns „Ciao“ oder Benedict Wells „Hard Land“ vergleichen, um einige Romane aus dem letzten Jahr zu nennen. Alle ein wenig sentimental, alle anrührend, nostalgisch, alle freundlich und einfach, ohne viel Brimborium fürs Herz und den Wunsch nach einem Happy End geschrieben. Wer Böses darin sieht, ist selbst schuld.

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