Kristine Bilkau: “Nebenan”

Kristine Bilkau: "Nebenan"

Einfache Leben in blauen Pastelltönen – ruhig und literarisch besonnen.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Oft überschlagen sich die Themen in Romanen, hetzt ein Mord den anderen, folgt Sex auf Gewalt, und Gewalt auf Sex. Krieg, Katastrophen, Pandemien werden besungen, bedauert, aber auch wollüstig beschrieben. Ein Lied von Eis und Feuer gerät schnell zu einem aus Tod und Trauer. Kristine Bilkaus Roman „Nebenan“ ist eine Ausnahme. In ihrem Roman geht es um eine Leerstelle, um ein Fehlen, um eine Frage, die im Zentrum von allem steht: Was ist mit der Familie von nebenan passiert?

„Es ist, als würde sie aus einem Traum erwachen und zurück in der Gegenwart landen. Der Efeu vor dem Fenster, der Apfelgeruch unter den Dielen, das Brummen der Fähre auf dem Kanal, das leere Nachbarhaus und die dunklen Dachfenster, alles das gehört zu diesem Traum. Und jetzt fühlt es sich an, als würde sie nach Hause kommen.“

Traum und Gegenwart, Wachsein und Schlaf, Frage und Antworten, all dies gleitet in Bilkaus Roman ineinander über. Die Handlung spielt in einem kleinen Ort. Die Protagonistinnen heißen Julia, eine Keramikerin, die sich ein Kind mit ihrem Partner Chris wünscht, und Astrid, eine Ärztin kurz vor ihrem Ruhestand. Das Leben von Astrid und Julia verknüpft sich über die Nachbarschaft. Julia ist Nachbarin der Tante und Ziehmutter von Astrid, Elsa, aber auch Nachbarin von einer Familie, die nun schon seit längerem verschwunden ist. Ein Kind wartet im Gebüsch auf diese Familie, schreibt eine geheimnisvolle Botschaft und verschwindet. Astrid findet einen Sack Briefe auf dem Feld, mitten im Winter, verlassen. Sie erhält Drohbriefe von einem Unbekannten. Ein Kaufhaus wird abgerissen, und eine alte Freundin von Julias verstorbener Mutter taucht auf. Bemerkenswerterweise erzählt Bilkau in „Nebenan“ all dies unaufgeregt, leicht und locker:

„Es dämmert, sie schaut auf die Uhr, kurz nach halb sieben. Die Landschaft ist in kaltblaues Licht getaucht. Ein riesiger Frachter schiebt sich durch das Wasser, zwischen Schiffswand und Kanal liegen nur wenige Meter.“

Bilkau improvisiert mit der Farbe Blau. Sie lässt ihre Figuren allerhand erleben, aber zielt nie auf eine gewollte Pointe, auf einen Twist. Der Witz des Romans besteht aus diesem Fehlen. In „Nebenan“ fehlt so Einiges. Die Familie Winter von nebenan fehlt, aber es fehlt auch der Kriminalfall, der Akt, der Plot. Julia fehlt das noch ungeborene Kind. Astrid fehlt ihre beste Freundin. Dem Ort fehlt es an Zukunft und Perspektive. „Nebenan“ plätschert im besten Wissen und Gewissen dahin. Er unterhält, ohne aufzuregen, erforscht die Untiefen des Alltags, ohne ein Spezielles zu erzwingen, und so gerät der Roman zu einem Mysterythriller der besonderen Art.

„Sie weiß nicht, was in ihm vorgeht, aber sie sind hier, schwerelos unter Wasser, es ist seltsam und schön. Sie wünschte, es könnte länger dauern. Sie weiß, dieser Moment lässt sich nicht wiederholen, es ist nicht möglich, dieses Erstaunen, über sie beide, über sich selbst, über den Lauf der Dinge, über das Gute, das sich darin verbirgt, noch einmal genau so zu empfinden.“

Ohne jedwede Larmoyanz berichtet, improvisiert Bilkau leicht und ernsthaft, akribisch und stilistisch konsequent. Die Sprache ist einfach. Sie macht nicht viel Aufhebens um sich, um den Inhalt, um die Form, aber die Zurückhaltung erzeugt nach ein paar Seiten Vertrauen, Vertrauen in die Autorin, dass sie mit ihrem Roman ein Stück Zeit anhalten möchte, eine Atempause in der Jagd nach Neuigkeiten und Sensationen. Bilkau bietet von all dem nichts. Ein einfaches Leben in blauen Pastelltönen beschrieben.

Wer die Passagen der blauen Frau aus Antje Rávik Strubels gleichnamigen Roman mochte, wird auch „Nebenan“ von Kristine Bilkau mögen. Ähnlich auch Joan Didions „Blaue Stunden“ und Anne Michaels „Fluchtstücke“. Viel aus dem Roman erinnert zudem an „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ von Peter Høeg, nur eben ohne Verbrechen und Kriminalgeschichte, und im Stil und Duktus an „Der Brand“ von Daniela Krien und „Daheim“ von Judith Hermann.

12 Gedanken zu „Kristine Bilkau: “Nebenan”“

  1. Ärgerlich ist, dass du nicht nur die Follower von hier nicht migrieren konntest, sondern auch nicht die von deinem WordPress.com-Blog. Ersteres hätte mich gewundert (wenn es möglich gewesen wäre), Letzteres geht eigentlich, jedenfalls bin ich als Follower schon häufiger migriert worden. Na, jetzt habe ich es ja jetzt auch kapiert und bin da.
    Abendgrüße! ✨???

    1. Ich habe mich da nicht mit Ruhm bekleckert, sag ich dir! Von Anfang wordpress.org mit wordpress.com verwechselt. Alles auf eine self-hosted Site hochgezogen und mich gewundert, dass meine Artikel nicht angezeigt werden – etc … pp … es war zum Mäusemelken. Nun, aber nochmals Danke für deine Tipps und Unterstützung. Das ist nicht selbstverständlich!
      Ich bin jetzt sehr zufrieden mit dem Neustart und bin froh, dass einige zu meiner neuen Seite zurückfinden. Schön, dass du dazu gehörst! Und ja, ich habe einfach nochmal den Support kontaktiert. Vielleicht klappt es ja mit der Migration doch noch. Schönes Wochenende! Hab noch an die Medici-Giraffe gedacht, gibt es da Literatur zu?

      1. Deine ist die bei Weitem theoretischste Stimme (okay, welch Wunder) unter den Rezensionen, denen ich folge, und schon daher interessant 😉 Du bist endgültig auf meine Linkliste gewandert, also wäre es schön, wenn ich den Link so bald nicht mehr ändern müsste.
        Ich hatte vermutet, dass du wp.com und wp.org verwechselt hattest, hätte aber nicht gefragt. Was mich gewundert hat, ist, warum du nicht einfach zu einem anderen Provider mit deiner wp.org-Seite umgezogen bist, denn damit bist du der Herr über deine Inhalte, bei wp.com hast du immer jede Menge im Kleingedruckten, jedenfalls ist das bei den kostenlosen Seiten so, und deine Follower hättest du eh neu organisieren müssen. Wobei ich unterdessen nachgesehen habe, was wp.org für Jetpack (und akismet) für Preise aufruft, da ist wp.com ja fast noch günstig, vor allem, wenn du jetzt wirklich unbegrenzten Zugang zu Plugins hast. Allerdings müssen m. E. sowohl Jetpack als auch akismet in die Datenschutzerklärung.
        Was Tipps angeht: Es interessiert mich selbst, und warum soll ich mein Wissen nicht teilen, manchmal reicht es ja schon, in eine bestimmte Richtung zu deuten? Als ob ich nie Hilfe brauchen würde …
        Die Medici-Giraffe: zu wenig. Du hast meine Links gesehen, und nur im Netz. Am interessantesten fand ich den mit der falschen Zeitangabe zu Friedrich II.: https://mhistories.hypotheses.org/1788 Da gibt es am Ende ein Quellenverzeichnis. Ansonsten habe ich nur wild herumgeklickt und überflogen: Die englische Wikipedia weicht im Informationsgehalt gelegentlich signifikant von der deutschen ab. Könnte interessant sein, aber ich hatte nicht genug Zeit.
        Schönes Wochenende auch dir! Das mit den Subskriptionen ist wirklich super, gut, dass du den Support angeschrieben hast!
        Morgenkaffeegrüße! ?️?☕???

        1. Mich freut es, dass du Gefallen an meinen (vielleicht manchmal etwas theorielastigen) Versuchen findest. Mein Link wird sich nicht mehr ändern. Der Domain ist gekauft – und alles läuft jetzt gut.

          Du hast von Anfang an das Problem exakt erfasst und lokalisiert. Ich habe nicht nur wordpress.org und wordpress.com verwechselt, auch die ganzen Plugins und Erweiterungen habe ich erst nach und nach hinzugeschaltet. Um ganz ehrlich zu sein, ich wusste vor einem Jahr nicht, ob ich das überhaupt aufrechterhalte, und so war ich etwas unbedarft. Aber ich habe seitdem wieder richtig Spaß am Lesen bekommen und das verdanke ich dem fröhlichen Austausch hier.

          Preislich gesehen ist die Bluehost-Variante viel billiger gewesen, als die Pro-Variante bei WordPress. Aber das ist mir jetzt schnuppe. Ich bin froh, dass du und andere mich darauf aufmerksam gemacht haben. Zur Datenschutzerklärung hat mir WordPress gesagt, muss ich nichts tun, da ich keinerlei gewerbliche Ziele verfolge und keinerlei Daten auswerte. Wenn das nicht stimmt, werde ich nochmals fragen.

          Ich werde auch mal etwas über diese Giraffe nachforschen. Insbesondere im englischen Sprachraum, wie du vorgeschlagen hast! Viele Grüße!

          1. Ich habe noch eine Anmerkung, weil ich mich ärgere. WP: Das halte ich für ein Gerücht (dass du da nichts tun musst, speziell in D), und ich würde mir das schriftlich geben lassen, dass die für diese Auskunft im Fall des Falles haften, nach dem Trubel, der um die DSGVO gemacht worden ist, halte ich das schon fast für fahrlässig. Wobei die Blogs (wie meiner) auf der komplett kostenlosen Schiene tatsächlich keine Möglichkeit haben, einzusehen, welche Daten wp.com erhebt – wir haben ja keinerlei Zugriff auf Plugins, ich liste auf, was ich weiß, und gut. ??
            Aber du, der du in der Bezahlversion bist, du bist prinzipiell für alles verantwortlich, wenn du an die Daten drankommst. Das Thema ist riesengroß, ich reiße es hier eigentlich nicht mal an, da lohnt es sich vielleicht auch mal für dich, bei anderen Buchblogger nachzuschauen, wie die das geregelt haben, und das gilt auch, wenn du alle Bücher, die du besprichst, selbst kaufst.
            Mit einem Blog wie deinem hättest du zum Beispiel auch Zutritt als Fachbesucher auf die Buchmessen, und auch die wollen, dass der rechtliche Kram in Ordnung ist – nur so ein Gedanke.
            Montagvormittagkaffeegrüße! ?️?☕???

          2. Stimmt schon. Ich habe mich erkundigt, wie viele Zeilen man zitieren darf, und so weiter. Aber die speziellen Hintergründe, da kenne ich mich gar nicht aus. Ich finde es außerordentlich hilfreich, worauf du mich aufmerksam machst. Tatsächlich, da hast du mich erwischt, dachte ich auch, es reicht, die Bücher einfach zu kaufen. Ich kaufe sie ja nicht nur deshalb, sondern auch, weil ich es toll finde, dass Menschen Bücher schreiben. Rezensionsexemplare nehme ich gar nicht erst an. Ich habe einen Job, und den trenne ich sehr mit meinem Hobby, aber das Hobby für den einen, kann wie Marketing für den anderen aussehen. Du hast da den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich werde da noch mal bei den Leuten anklopfen. Es gibt auch so ein Plugin, das ein standardmäßiges Datenrechtschutz-Blatt auf die Seite nagelt. Mal sehen. Auf jeden Fall fröhlichen Wochenanfang, und vielen vielen Dank!!

          3. Ich finde deine Datenschutzerklärung sehr schön … ich werde noch mal etwas recherchieren und eine ähnliche einbinden. Mir geht’s ja gar nicht um Daten irgendwelcher Art – wenn aber meine Seite von anderen so genutzt werden könnte, ist das schön blöd. Irgendwie nervig, aber klar … die Konvertierung von allem und jedem in Nullen und Einsen bringt sehr viel Ungewolltes mit sich.

          4. Feel free! Mein “persönliches Vorwort” ist rechtlich mit Sicherheit nicht ausreichend, und ich gebe zu, dass die Datenschutzerklärung möglicherweise nicht mehr topaktuell ist *hust*, aber wenn ich helfen konnte, freut es mich. Ich komme bestimmt bei dir auf der Seite vorbei, um zu schauen, was sich so tut, nicht nur für die aktuellen Beiträge – ich mag es eh, mir Seiten nicht nur über das Handy anzuschauen.
            Schönen Abend! 😉

    2. Habe nach expliziter Nachfrage tatsächlich die Subskriptionen transferieren können. WordPress kann dies von sich aus veranlassen, ich aber nicht selbst. Also, dein Denkanstoß hat geholfen! Fröhlichen Samstagmorgen-Kaffee!

  2. Übrigens, weil das hier schon so ein schöner Off-Topic-Thread ist: Ich bekomme die Benachrichtigungen, dass du etwas Neues veröffentlicht hast, jetzt zweimal. Nur aus Neugier: Kannst du bei deinen Followern sehen, ob ich dir zweimal folge, und mich einmal rausnehmen? Ich habe das bei mir gecheckt, ob ich dir doppelt folge (nein, tu ich nicht), ich vermute, es liegt daran, dass WP die Subskriptionen nachgetragen hat.
    Ansonsten muss ich dich vermutlich „ent-“ folgen, bisschen abwarten, bis die Datenbank das kapiert hat, und dir dann wieder folgen. Just for info.
    Zu oben: Schau mal unter datenschutzgenerator.de – Du fällst als Hobbyblog unter die „Kostenlos“-Variante, aber dann siehst du, was du eigentlich alles wissen musst, und kannst dich kümmern. Der Punkt ist nicht, ob du etwas mit den Daten anfängst, sondern ob deine Seite die Daten erhebt, und das ist ein riesiger Unterschied …
    Vormittagspausenkaffeegrüße ?️?☕???

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