Leïla Slimani: “Das Land der Anderen”

Leïla Slimani: "Das Land der Anderen"

Karge, unbeteiligte Wiedergabe einer Familie in der Einöde eines von Gewalt zerrissenen Landes

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Leïla Slimani beschreibt mit journalistischer Kälte und unpoetischer Beliebigkeit, die Lebensschicksale vieler Menschen zugleich; Mathilde, die einen marokkanischen Oberst heiratet; Amine, dieser marokkanische Oberst selbst, der Olivenbäume auf unfruchtbarem Boden züchten möchte; Selma, die Schwester Amines, die den Traum von einem freien, sorglosen Lebens als Partygirl frönt und sich aus Angst vor ihrem Bruder mit einen alten, homosexuellen Soldaten verheiraten lässt; eine dement werdende Mutter aus Meknès, einen Gynäkologen, Dragan, aus Ungarn und seine üppige, walkürenhafte Frau Corinne, die sich Kinder wünscht, aber keine bekommt. Die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden. Die Fülle jedoch ersetzt nicht das Detail. Die Ereignisse jagen aneinander in kaum zu überbietender Beliebigkeit. Vor allem fehlt Empathie, der Wunsch, tiefer zu blicken, mehr zu verstehen, von Ängsten, Hoffnungen und Wünschen zu erzählen.

„In der Nacht hatte sie [Aicha, Mathildes Tochter] einen Traum gehabt, so lang wie die Schale der Äpfel, die Mathilde mit zusammengepressten Lippen pellte, um eine möglichst lange Girlande aus der Haut der Frucht zu machen.“

Weder erfährt man etwas über Aichas Traum, noch weshalb ein Traum mit einer Obstschale in Verbindung steht. Die Spirale einer Apfelschale als Metapher für einen ungenannten Traum, aber mit klarem Ende? Und klarem Anfang? Die Metapher hängt in der Luft, wie fast alle Episoden in diesem Roman, wie eben die wippende Apfelschalenspirale, die nichts mehr besagt, als dass jemand, hier ihre Mutter, einen Apfel geschält hat.

„Man hatte die glühenden Zementplatten befeuchtet, der Boden dampfte. Im Laub hörte man die Vögel flattern, und Dragan stiegen Tränen in die Augen angesichts der Gleichgültigkeit der Natur gegenüber der menschlichen Dummheit. Sie werden einander umbringen, dachte er, und die Schmetterlinge werden weiter fliegen.“

Das Bild der Schmetterlinge fällt wieder vom Himmel. Weder stehen sie mit der „menschlichen Dummheit“ in Verbindung, noch mit Gleichgültigkeit oder Zement. Die Schmetterlinge eignen eher als fröhliche Gesellen, die Mut und Verspieltheit, Buntheit in die Welt bringen, und eher gleiten, schweben flattern als fliegen.

Sprachlich überdurchschnittlich durchschnittlich und stets bemüht könnte man also beinahe sagen, wäre nicht die gähnende Langweile, die Fülle an Details, die kein Gesamtbild erzeugen. Weder weiß man, wie die Straßen von Meknès aussehen, noch wo dieser Ort liegt, noch wie Tage und Nächte vergehen, wie die Häuser gebaut sind, welche Lieder gesungen, welche Geheimnisse verraten, versiegelt, unter dem klaren Himmel der Wüste heimlich weitergegeben werden. J.M.G. Le Clézio hat mit „Wüste“ ganz anderes zuwege gebracht. Oder ein Orhan Pamuk mit „Istanbul“. Was dem Roman von Slimani fehlt, ist schlicht und ergreifend Herz und die Eindeutigkeit seiner Verortung. Der Roman bleibt unentschieden in jeder Hinsicht, seltsam diplomatisch und äußerst langweilig. Er lebt zwischen den Stühlen wie seine ProtagonistInnen, nur ohne dieser Heimatlosigkeit dadurch irgendeinen Ausdruck verleihen zu können.

Ärgerlich letztlich wird die Beschreibung von Gewalt gegen Frauen, von dieser seltsamen Idee, dass Gewalt erotisch sei, dass Kriegsgemetzel zu Orgasmen führt und dass eine geschlagene Frau, nur weil der Mann sich nicht entschuldigt, Versöhnung in körperlichen Exzessen anstrebt und deshalb einer Erneutverheiratung nach lokalen Gebräuchen zustimmen kann. In welcher Form auch immer diese Abart von „Fifty shades of Grey“ in apercu Format auch gemeint gewesen ist, jeder Anspruch zerbricht hier am Stil, am Inhalt, an Formgebung und Literarizität. Von Glaubwürdigkeit keine Spur.

Am Ende werden Schicksale ausgeschlachtet und vorgeführt, wie es Boulevardblätter tun, die Armut und Angst einer Bevölkerung lächerlich gemacht, die Unabhängigkeitsbestrebungen weder motiviert noch geschichtlich fundiert wiedergegeben, weder von Angst und Schmerz berichtet, noch von Gründen, diese auszuhalten. Ein Besuch am Strand, der hinreißende Momente besitzt, reicht nicht. Dieser Roman, dem ich von Anfang an wohlgesonnen sein wollte, besitzt keine Tiefe, keinen Humor oder sonst einen gearteten Lese- oder Wiederlesewert. Mit Albert Camus „Der erste Mensch“, „Salambo“ von Gustave Flaubert oder „Schande“ von J.M. Coetzee, oder „Ministerium der Träume“ von Hengameh Yaghoobifarah ist man da besser beraten. Leider.

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