Martin Suter: „Melody“

Melody

So notwendig wie der Fernet Branca vor dem Schlafengehen.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2023/…

Wem Michel Houellebecq in “Vernichten” und Heinz Strunk „Ein Sommer in Niendorf“ zu verzweifelt, wem Martin Walser in „Das Traumbuch“ zu nachgiebig, versöhnlich, Emmanuel Carrère in „Yoga“ zu wehleidig und Robert Menasse in „Die Erweiterung“ zu verkopft ist, der greift schnell zu Ferdinand von Schirach „Nachmittage“ oder zu Martin Suters „Melody“. Mit diesen und anderen Romanen dieser Art bleiben sie unter sich: Junggesellen, abgeklärt und über jeden Zweifel erhaben, die sich von der Welt nicht mehr kirre machen lassen wollen::

„Lächelnd dachte Dr. Stotz darüber nach. »Du hast recht, wir sind auf dem Grundsätzlichen aufgelaufen: Was war wichtig und was nicht? – Ehrlich gesagt: Eigentlich war nichts wichtig.«
Er schwieg und fügte ernst hinzu: »Außer Melody. Außer ihr.«
Behutsam sagte Tom: »Also eigentlich alles in den Schredder.«
Dr. Stotz nickte langsam. »Alles. – Nur sie nicht.«“

Melody heißt Peter Stotz’ Verlobte, die drei Tage vor ihrer Hochzeit spurlos verschwand. Tom heißt mit vollem Namen Tom Elmer und wird von Stotz engagiert, seinen Nachlass zu verwalten. Stotz ist in der Schweiz berühmt, wohlhabend und einflussreich und für Tom das Sprungbrett, doch noch ein Leben in Saus und Braus zu führen, nachdem sein Vater, hoffnungslos verschuldet, Selbstmord begangen hat. Stotz hält im Hintergrund viele Fäden in der Hand und bedient nonchalant als Projektionsfläche die Allmachtphantasien von Suters anvisiertem Publikum.  

„Peter Stotz war der diskrete Königsmacher seiner Partei. Nicht nur seiner, behaupten manche. In der Politik war er immer der Mann, an dem man nicht vorbeikam. In der Wirtschaft genauso. Da war er Vorstand und Präsident vieler Blue Chips des Landes. Eine faszinierende Persönlichkeit. Ein charmanter Smalltalker, heißt es. Und ein Redner, um den man sich gerissen hatte.“

Zeitlebens Junggeselle, vergnügungssüchtig, ein Hans Dampf in allen Gassen, der eigentlich Künstler hätte werden wollen, aber es nicht wurde, lebt Stotz nun in Zürich, allein, mit seinen Bediensteten und trinkt sich seine letzten Tage schön. Der Roman hat einen sehr übersichtlichen Plot: Stotz‘ Liebe zu Melody und Toms Romanze mit Stotz‘ Großnichte Laura. Junggesellen auf den Weg ins Liebesglück mit vielen Ab- und Umwegen, viel Alkohol und vor allem vielem teuren Essen, das in allen Details auf fast jeder Seite wieder und wieder beschrieben wird:

„Ein Streichquartett aus Opernhausmusikerinnen empfing sie. Das Menü hatte Dr. Stotz bestimmt. Alle Gänge waren Rezepte von Mariella: Sellerieravioli als erste Vorspeise, eine kleine Portion Jakobsmuscheln auf Linsen als zweite, Hackbraten als Hauptgang und zur Nachspeise ihr Dolce Basyma. Dazu gab es Dr. Stotz’ Lieblingsweine aus dem sonnigen Süden von Italien. Zum Schluss, als die Trauergemeinde laut und ausgelassen geworden war, wurde der Digestif kredenzt. Armagnac 1983. Das Jahr von Melodys Verschwinden.“

Suters Erzählton plätschert saturiert dahin. Es geht vor allem um die Souveränität, die Altherrenruhe, die Vorstellung, ein Leben zu führen, ohne dass jemand einem das Wasser reichen kann. Er spielt hierfür souverän auf der Klaviatur derjenigen, die nicht zu den oberen Zehntausend gehören, aber gerne dazugehören würden, und sei’s nur kurz und innerhalb eines Romans, wo die Frauen rehzart und die Männer wohlbeleibt sein müssen. Wer also mit wem? Wann wird dann was gegessen und welcher maßgeschneiderte Anzug getragen? Wie wird standesgemäß gesprochen und was der Etikette nach wie getrunken? Wer zählt etwas und wer eigentlich nichts? Suter gibt Antworten auf alle Lebenslagen. Teilweise liest sich der Roman unter anderem auch deshalb wie ein Junggesellenreiseführer für Millionärssöhne in Zürich.

Was bleibt? Eigentlich nicht viel. Martin Suter handelt seinen Plot selbstgefällig ab, staffiert ihn mit überflüssigen Details aus, gibt eine Prise Altmännerromanze dazu, schmeckt es mit einem Verbrechen ab, und schwuppdiwupp „Melody“ ist angerichtet. Eine Kost so leicht und seicht, dass der Magenbitter danach reinste Attitüde bleibt.  

Kommentar verfassen