Michel Houellebecq: “Vernichten”

Michel Houellebecq: "Vernichten"

Kraftlos improvisiert … gähnend ungelenkes, schlecht komponiertes Alterswerk

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Über Michel Houellebecq müssen nicht viele Worte verloren werden. Zu bekannt, zu verehrt, zu kritisiert, über den Klee gelobt, beinahe gefürchtet und doch immer wieder gerne zitiert, dass man schlicht vergisst, dass es sich um einen Schriftsteller handelt, der sich lediglich in die französische Literaturtraditionen einzuordnen versucht. Es ist ihm nie bislang nicht überzeugend gelungen. Die Beobachtungen blieben stets zu schlicht, der Stil zu journalistisch, die Sprache zu einfach, die Form beliebig. Houellebecq musste deshalb in der Vergangenheit stets schockieren, um auf sich aufmerksam zu machen. In „Vernichten“ schockiert er nicht mehr. Er lamentiert zusammen mit seinem Protagonisten Paul.

„Dabei war er [Paul] in diesen Büros nie sehr glücklich gewesen, zumindest nicht vor seiner Begegnung mit Bruno, aber es ist nicht die Tatsache, dass man an einem Ort glücklich war, der die Aussicht, ihn zu verlassen, schmerzhaft werden lässt, sondern allein die Tatsache, ihn zu verlassen, einen Teil seines Lebens hinter sich zu lassen, mag er auch noch so bedrückend oder gar unangenehm gewesen sein, zu sehen, wie er sich im Nichts auflöst; mit anderen Worten, es ist die Tatsache, dass man älter wird.“

Die Sätze, ineinander geschachtelt, bleiben dennoch blass. Der Stil findet keine Tiefe, keinen Schwung oder Rhythmus wie beispielsweise Marie NDiaye in „Die Rache ist mein“, noch beweisen sie Humor und Einfallsreichtum wie Hervé Le Tellier in „Die Anomalie“, von einem Weitblick wie Jonathan Franzens durchkomponiertes, dennoch langweiliges Werk „Crossroads“ ganz zu schweigen. „Vernichten“ bleibt ein Werk des Abschieds, ein ungeliebtes Kind, das zwischen allen Stühlen sitzt, das politisch sein will, tragisch enden möchte, aber dennoch, weil, alles zu wollen, meist darin endet, nichts von alldem zu erreichen, wie ein Kartenhaus unter der eigenen Last zusammenbricht. Viele Passagen wirken deshalb unbeholfen, fast wie ein Lebens- und Ernährungsratgeber.

„Alkohol ist eine paradoxe Sache: Während er einem manchmal ermöglicht, seine Ängste zu beherrschen und alles in einem trügerischen optimistischen Licht zu sehen, hat er manchmal die umgekehrte Wirkung, die Hellsicht und damit die Angst zu vergrößern; die beiden Phänomene können einander im Übrigen innerhalb weniger Minuten abwechseln.“

Von Geistesblitzen bleibt man genauso verschont wie von Schockmomenten, oder allzu krasser politischer Unkorrektheit. Ein Autor, der müde geworden ist, spricht, säuselt, ja träumt, wie er sich das Ableben wünscht, wie er sich zu leben vorgestellt hat und zu sterben vornimmt, verwöhnt, versorgt, umgarnt von einer liebenden fürsorglichen, selbstlosen Frau. In seinem alten Kinderzimmer von Trinity aus „Matrix“ träumend, erkennend, dass er seine Ehefrau Prudence nach dem Aussehen und der Ähnlichkeit mit Carrie-Anne Moss gewählt hat, fällt ihm zu sich nicht mehr viel ein und regrediert schamlos. Die interessantesten Passagen bilden unmotivierte Traumsequenzen, die leider keine sprachliche Eigendynamik entwickeln können, da sie überreflektiert vom Erzähler selbst interpretiert werden, um im vorauseilenden Gehorsam surrealistische Vereinnahmungen zu verhindern.

„In einem Fernsehstudio versucht ein alter, kleiner, kahlköpfiger und leicht unförmiger Mann eine Sendung zu retten, indem er Scherze macht, aber es gelingt ihm nur bedingt, und so beschließt er, die Hose auszuziehen, bevor er durchs Bild läuft (man erkennt sofort sein großes, schlaffes, blasses Ge…lecht). Dann sieht man, wie er in einem der Abflussbecken treibt.“

Der Roman „Vernichten“ ist zu lang und äußert schlecht, fast hastig komponiert. Es lässt sich anfangs nicht entscheiden, ob es sich um ein Politthriller, ein Familiendrama, eine High-Tech-Krimi oder schlicht um eine Ehekrisen-Roman handeln soll. Am Ende ist es nichts von allem. Die vielen Handlungssträngen, die eingeführt werden, finden nirgendwo einen Abschluss. Alles bleibt in der Luft hängen, und am Ende des Romans ist nur noch von Paul und seiner Ehefrau Prudence die Rede, als gäbe es die annähernd zwölf Figuren nicht mehr. Michel Houellebecq schien mehrere Bücher zugleich im Kopf zu haben. Das Produkt bleibt deshalb unausgegoren und farblos, unentschieden, im Niemandsland hängen.

Houellebecq hat offensichtlich (auch nach eigenen Aussagen, siehe Nachwort) die Flinte ins Korn geworfen. Ihm ist bereits vor dem eigenen Alterswerk scheinbar der Atem ausgegangen, aber vielleicht leben Totgesagte ja tatsächlich länger.

8 Gedanken zu „Michel Houellebecq: “Vernichten”“

  1. Danke für diese Rezension. Ich diesen Houellebequ nicht gelsen und werde es wohl auch nicht tun, aber deine Rezension war sehr lesenswert. Er ist und bleibt der alte weiße Mann, der klagt und grantelt so dass einem das Lesen vergeht. Ich kann mit diesem Autoren nichts anfangen.

    1. Meines Erachtens ist dieses Buch ein Epitaph auf eine misslungene Großschriftstellerkarriere. Er wollte ja stets mehr als ein “unterhaltsamer” Provokateur sein. Es ist beinahe gruselig zu lesen, wie ihm langsam, aber sicher alles entgleitet, und er dann tatsächlich am Ende die Waffen streckt, regrediert und wie Pier Pablo Pasolini und seine “120 Tage von Sodom” implizit sagt, das wird hier nichts mehr, ich bin zu Ende, eine Schubert Winterreise der ganz besonders depressiven Note. Es stakt mir noch in den Knochen. Viele Grüße.

  2. Epitaph ist gut. Müsste es erst Mal googlen. Ja es macht den Anschein als sei die Seele des Autors bereits tot. Und dadurch bekommt das Geschriebene irgendwie nichts lebendiges. Alles wirkt abgestanden, Leichen lass verwelkt so ging es mit Unterwerfung. Wie gesagt das neue habe ich nicht gelesen und werde es auch nicht tun.

  3. Himmel, diese Autokorrektur macht mich wahnsinnig. Leichenblass und Musste es erst Mal nachgoogeln. Weisst du woran mich Houellebequ erinnert? Ich war Mal in einem Prapkurs ist schon Jahrzehnte her

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