Susanne Abel: “Was ich nie gesagt habe”

Ein Heimatroman – rührend einfach, herzerweichend ehrlich.

Ausführlicher und vielleicht begründeter:  https://kommunikativeslesen.com/2022/…

Wer Susanne Abels ersten Gretchen-Roman „Stay away from Gretchen“ gelesen hat, weiß, was ihn erwartet. In schlichter, freundlicher Sprache erzählt Abel, wie die Welt vom Nachrichtensprecher Tom Monderath aus den Fugen gerät. Im Grunde kommt hierbei stichwortartig und schlagzeilenmäßig alles zur Sprache, wird alles kurz angerissen und angedeutet: die bundesrepublikanische Vergangenheitsbewältigung, die Debatte um Verhütung, um künstliche Befruchtung, die Familienzusammenführung, die Kriegsverbrechen und Behandlung von Kriegsverbrechern und Kriegsrückkehrern. Abel lässt sich wenig außen vor. Im Zentrum steht die Familie Greta Schönaich und ihr Gatte Konrad, genannt Conny, Monderath:

„Als Conny wieder nüchtern war, machte er Greta einen formvollendeten Heiratsantrag. Dann wurde in der elterlichen Wohnung Verlobung gefeiert. Vor den Augen der Eltern, des Großvaters und von Elise und Hermann Holloch gaben sich Greta und Conny die Hand und versprachen einander die Ehe. Erst stießen sie mit Sekt an, und nach dem Kartoffelsalat mit Würstchen wurde das Verdauungsschnäpschen auf den Tisch gestellt. Otto Schönaich kippte zwei Gläser hintereinander, und Conny sah, wie Greta die Flasche wegräumte. Wankend stand er auf und holte die Flasche zurück.“

Stilistisch handelt es sich bei „Was ich nie gesagt habe“ um einen Familienroman, der mit Schlagzeilen aus der Regenbogen-Presse zeitgeschichtlich aufgemotzt wurde. Die Kollagen hangeln sich von einem Ereignis zum nächsten. Während eine Familienkrise nach der anderen ansteht, kommen der Golfkrieg, der Vietnamkrieg, der zweite Weltkrieg, die Wiedervereinigung, die Nürnberger Prozesse, das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Josef Mengele, die Pille, die Rassentrennung und Großplantagen in den USA, Elvis Presley, Rex Gildo, das niederländische Königshaus und vieles und viele andere bunt durcheinander gewürfelt vor. Dazwischen meldet sich ein Halbbruder bei Tom und wird die Geschichte von Toms Vater Konrad erzählt, dessen ganze Familie dem Krieg und den Maßnahmen und Folgen des Dritten Reiches zum Opfer fällt und der mit Greta einen Neuanfang versucht.

„In der Hochzeitsnacht standen sie mit einem Gläschen Rüttgers-Club in der Hand auf dem Balkon ihrer Wohnung, blickten auf das Heidelberger Schloss und den Neckar, der silbern im Schein des Vollmonds glänzte.“

Wie die Zitate zu genügend zeigen, spielen Form, Stil, ästhetische Ansprüche keine Rolle. Die Gretchen-Saga liest sich schnell, unkompliziert, in einem Zug durch. Sie ist rührend. Sie nimmt mit. Sie bedient den Wunsch nach einer heilen Welt, die die Probleme zwar nicht ausblendet, es aber doch irgendwie schafft, mit ihnen zu leben. Susanne Abel schreibt in Nachfolge von Rosamunde Pilcher und Ludwig Ganghofer. Die Projektionsfläche eines geteilten Nachrichten- und Politikkosmos bindet die Ereignisse zu einem kulturellen Unbewussten, das auf diese oder jene Weise, klischiert oder nicht, seine Wirkung erzielt. Wer sich also ungeschminkt mit dem langsam verebbenden Zeitgeist der Nachkriegsgeneration bekannt machen möchte, bekommt viel geboten, nicht sprachlich, nicht begrifflich oder literarisch, aber sentimental konkret und auf beeindruckende Weise rühr- und leutselig wie die Schlagertexte die Susanne Abel so gerne zitiert:

„Im Radio sang das Rodgers Gesangsduett: »Sei zufrieden mit dem Heute, wenn es dich auch wenig freut. Denk doch nur, wie viele Leute leben ohne jede Freud.«

Ein Buch, das aus reiner Herzensgüte heraus geschrieben worden ist.

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