Tomer Gardi: „Eine runde Sache“

Tomer Gardi: „Eine runde Sache“

Literarischer Blindgänger. Schade – nach gutem Anfang, ein schwaches Ende.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Tomer Gardi, nominiert und auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse, legt mit „Eine runde Sache“ einen seltsamen Roman vor, der vielversprechend beginnt, interessante Wagnisse eingeht, um dann sehr schwach, beinahe nichtssagend zu enden. Es ist ein janusköpfiges Gewebe aus historisch verbürgten und imaginierten Vorgängen, die von einem wortsprachlichen, orthographischen Abenteuer eingeleitet werden. Der Zusammenhang liegt nicht auf der Hand. Die innere Spannung des Textes dreht sich um Emigration, Kunst, um Ausdruck, Fremd- und Zuhause-Sein. Trotz offener Lektüre, interessiertem Sich-Einlassen erwies sich der Roman als heiße Luft rundum Nichts.

„So viele Versionen, so viele Perspektiven. Und auch Gespräche zwischen den Besucherinnen und Besuchern. Und die Gemälde von Raden Saleh, und die Beschriftungen unter den Bildern. Irgendwann spürte ich den Drang, mit all dem etwas zu machen, die vielen Details zu einem Ablauf zu verbinden, um sie mir selbst zu erklären und sie zu verstehen. Ich hab auch Eigenes hinzugefügt. Um Lücken zu füllen oder zu verschönern. So bin ich nun mal, wie ich hier mit verschränkten Armen dasteh, schweigend, neben dem Insektendetektor.“

Das Zitat gibt den Blick auf Tomer Gardis Herangehensweise ans Schreiben, an den Ausdruck, ans Berichterstatten frei. Man hat es mit einer sich kunterbunt abwechselnden Menge an Impressionen zu tun, die lose, durch Figuren, verknüpft werden, ohne eine innere oder überhaupt irgendeine Spannung zu erzeugen. Der rote Faden ist im ersten Teil des Buches ein improvisierter Maulkorb für einen Schäferhund und eine heranbrechende Sintflut; im zweiten Teil des Buches die Beschreibung des Lebens und Wirkens des indonesischen Künstlers Raden Saleh Syarif Bustaman. Die Erzählmotivation erschöpft sich tatsächlich komplett darin, dass der Erzähler sich Gehörtes oder Gelesenes aus Langeweile neu zusammenreimt, und die ganze poetologische Unternehmung wird ein unverbindliches Copy&Paste, das zu keinem Zeitpunkt in der Narration eine eigene Dynamik erhält und endlos weitergehen könnte.

„Ich habe eingepackt, was man dazu braucht, Terpentin, Rasierklingen, Schmirgelpapier, Löschpapier, ein feuchtes Tuch. Jetzt bin ich bereit, mein Werk zu beginnen. Jeder Künstler ist auch ein Künstler des Wegmachens.“

Solche allgemeinen Phrasen werden weder erläutert noch eingebettet noch mit einem inhaltlichen Bezug ins erzählte Geschehen verknüpft. Gemälde zu zerstören, verborgene Schichten freizugeben, Vergangenheiten aufzuarbeiten, ja, herkömmliche Geschichtsparadigmen zu hinterfragen, bedarf mehr als ein süffisantes „so bin ich nun mal“ und her mit dem Terpentin. Die Geschichte des Malers Raden Saleh enthält Dramatik und Tragik, aber seine Geschichte wird blass und unmotiviert rekapituliert, just so, wie man es vom Hörensagen erwarten kann, wie jemand über Menschen und Ereignisse spricht, die man nur aus Film und Fernsehen und Wikipedia kennt. Details, außer leicht übers Internet zu recherchierende Eigennamen und Kunstbrauchtumserzeugnisse? – Gibt es nicht. Charakterlicher Tiefgang der Figuren? – Fehlanzeige. Erzähllust, Wortkunst, Einfallsreichtum? – Nur im ersten und sehr gewollten Teil.

„Vor mir, auf eine rote Rutschbahn von eine überflutete Spielplatz, stand eine erschrokene Zebra und iahte. Das Tiergarten war neben dem Hafen und Fluss, die Zäune bestimmt aufgebrochen, die Tiere rannten weg. Auf eine gekippte LKW stand ein Gnus oder Büffel. Rex schwam in Richtung der Fluss, er manövrierte zum Zoo.“

Die Orthographie, Grammatik, der Satzbau läuft kunterbunt wild. Das erzeugt einen überzeugenden Formwillen im ersten Teil, dem es aber wie dem zweiten an einem narrativen Grundgerüst mangelt. Tomer Gardi schreibt Parabeln mit offenem Ausgang. Sie schweifen auf, wagen Anstrengendes, aber geben zu wenig preis, wirken zu ungeschlacht, als dass sich ein näheres Hinsehen lohnte. Das Fabulieren wirkt zu frei, zu ungezwungen, und deshalb viel zu unverbindlich, um Konsistenz hinter den Kulissen erhoffen zu können. Was bleibt, ist Kessel Buntes zwischen Goethes Faust, die Lehr- und Wanderjahre des Saleh Raden zwischen Dresden, Paris, Den Haag und Batavia (das heutige Jakarta).

„Ist schon in Ordnung so, dachte sich Saleh, der Salon de Paris kann bis nächstes Jahr warten. Er mochte das neue Haus, in das er umgezogen war, er arbeitete jeden Tag viele Stunden, verbrachte einige Zeit im Atelier und einige Zeit in dem großen Garten. Er stellte einen Gärtner an und gestaltete den Garten, in dem englischen Stil, den er vom Schloss Callenberg, von seinem Freund Ernst kannte.“

Schnöder geht’s nicht. Schade. Wer’s sprachlich anspruchsvoll mag, der halte es lieber mit der letztjährigen Trägerin des Preises der Leipziger Buchmesse Iris Hanika mit „Echos Kammern“ oder lese direkt Franz Werfels „Stern der Ungeborenen“, der ein ähnliches Thema mit Hund und Herrchen erzählt, oder man verfolge die Geschehnisse eines Malers in Stefanie vor Schultes „Junge mit schwarzem Hahn“, der zwischen Kunst und Wanderschaft ein epochales Gemälde zeichnet, ohne in Phrasen zu enden und vom immergleichen Fürstenhäusern und Fegefeuer der Eitelkeiten zu berichten. Zu guter Letzt sei noch auf Ariane Koch hingewiesen, die sich sehr zu lesen lohnt, mit „Die Aufdrängung, die tatsächlich eine Parabel mit Wortwitz entwirft, die zwischen Fremd- und Zuhause-Sein vermittelt, indem die Protagonistin letztendlich doch das Weite sucht.

4 Gedanken zu „Tomer Gardi: „Eine runde Sache““

  1. Jetzt hab ich das Buch auch gelesen und würde nicht so weit gehen, daß ich darin Bezüge zu Thomas Mann gesehen hätte. Ich habe den ersten Teil eher als eine Farce gelesen, die Anspielungen zum Goethe sind natürlich da und vielleicht auch zu der Hexe bei den Grimms, aber ansonsten sehe ich es eher als ein Sprachspiel. Man könnte es auch als eine Blödelei interpretieren, die man herrlich interpretieren kann, über das man sich dann auch lustig machen kann.
    Zum zweiten Teil sehe ich keinen Bezug. Die Geschichte dieses Malers kann man auch “Wikipedia” entnehmen. Das ist viel konventioneller und auf Hebräisch geschrieben und dann übersetzt.
    Tomer Gardi ist ein Sprachspieler, der anderen Art, der sich vielleicht über den Literaturbetrieb lustig macht und ihn auf die Schaufel nimmt .
    Das passt wahrscheinlich auch zu den zwei anderen Preisbüchern, die ich erst lesen muß. Da geht es ja auch um Übersetzungen und vielleicht auch um sprachliche Mißverständnisse, die passieren können und das ist wahrscheinlich auch eine ganz bewußte Auswahl der Jury, sich ausgerechnet für diese drei Bücher zu entscheiden.
    Lesen Sie die zwei anderen Bücher auch?

  2. Nun, zum Hochstapler à la Felix Krull sehe ich schon Bezüge. Der indonesische Maler stellt sich ja als Prinz aus und wird auch so zur Sensation – und die sehr klassische Erzählweise, beides haben mich stark an den Mannschen Duktus erinnert. Ich bin völlig Ihrer Meinung, dass es wohl bei den diesjährigen Preisbüchern wohl um Sprachspiele ging. Dath ist das einzige Buch von den Fünfen, das ich noch lesen muss, habe deshalb den “Dirac” von Dath vorgeschoben, ein Buch, das wenig Interesse gezeigt hat, damals wie heute, mir aber thematisch naheging. Ich fand den ersten Teil von Gardi sehr gut, wenn auch obszön und etwas infantil, dennoch eben experimentell und fröhlich. Ich bin gespannt auf Ihre weiteren Besprechungen. Viele Grüße aus Berlin.

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