Wolfgang Schiffer: „Dass die Erde einen Buckel werfe“

Wolfgang Schiffer: „Dass die Erde einen Buckel werfe“

Ein Hauch von Dauer in hastigen Zeiten

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Gedichte sind nicht immer Schonkost. Oft lesen sich Gedichtbände schnell, und Wolfgang Schiffers Dass die Erde einen Buckel werfe gehört zu ihnen, aber diese fünfzig Seiten, so erfasst man schnell, haben es in sich. Die Worte und Zeilen sind aus Schrot und Korn. Das lyrische Ich erinnert, d.h. es fährt in sich, sucht und entwickelt aus der Innerlichkeit die eigene Vergangenheit:

suche ich das Dorf meiner Kindheit als Trost
im mir unübersichtlichen heute / im Schrecken des Jetzt?
gehe ich zurück / weil mir die Welt zu groß
geworden ist oder ich mir zu klein?

Schiffers Sprache klebt nicht an Blumigkeit. Sie salbadert nichts Romantisches. Sie fühlt dem Erdverbundenen nach, den Narben, Auswürfen, den Wunden, Pusteln und schroffen Spuren auf der Walfischhaut, dem Buckelwal, der sich gegen die Wellen, das Herumgeworfen-Werden wehrt und sich vom Ballast zu befreien sucht, der das Leben und Miterleben sein kann. Weltschmerz wird großgeschrieben, aber stets mit Sog zum Boden, mit Wunsch nach Erdnahem. Stets steht in Dass die Erde einen Buckel werfe ans Essen, Wohnen, ans Arbeiten, Schlafen, ans Trinken und die Mühen des Alltags im Mittelpunkt. In mundartlicher Sprache stehen die Speisekarten der Wochentage zwischen den Gedichten und kurzen Prosa-Reminiszenzen. Unkommentiert. Wesentlich. Einfach und klar:

Wellfleisch mit Sauerkraut / Lauchgemüse / Kartoffel / Bohnen
untereinander / Stangenbohnen / Frikadelle / Panhas / Schwarzbrot / Rübenkraut

Liest sich wie folgt:

Durchwoassene Schpäck met Suurmoos / Prayjemöös / Ärpel / Bonne ongereen / Fitschbonne / Fitschbonne ongeren / Friko  / Tüüt / Schwattbruet  / Röivekruut

Die Gedichte geben zu kauen. Sie lesen sich leicht, aber bleiben zäh, widerspenstig, gegen den Zeitgeist bestehen. Sie sind nicht flüchtig. Eigenartigerweise bilden sie Chiffren einer Existenz, der nichts anhaben kann, rüstig, robust, ohne Ursprünglichkeit anzustreben, ohne Vorrangigkeit in Anspruch zu nehmen. Es geht nicht um Identität. Es geht um das Geben und Nehmen im kosmischen Miteinander.

Vieles an Schiffers Gedichtband erinnert an Bertolt Brecht, das Trockene, Geradlinige, das rundheraus Sagen und Anprangern. Manches auch an Wladimir Majakowski, das Rhythmische, Schnelle, das Hastige und Ungestüme. An Treibgut, dass an den Strand gespült, Flaschenpost aus anderen Zeiten. Wie wenige Worte weite Erinnerungsräume aufspannen, zeigt Wolfgang Schiffers Gedichtband und trotzt den hastigen Zeiten einen Tropfen und Hauch von Dauer ab.

5 Gedanken zu „Wolfgang Schiffer: „Dass die Erde einen Buckel werfe““

    1. Es hat viel in Bewegung gebracht, Gutes, Vergessen-Geglaubtes, Aufgeschobenes, Schmerzhaftes. Der Dank ist also ganz meinerseits!

    1. Das Buch hinterlässt viel und bleibt – ich bin sehr berührt von den Erinnerungen an seine Eltern. Sehr viel Wahres und Gutes steckt darin. Ich habe viele Passagen gleich mehrmals gelesen.

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