Zeruya Shalev: “Schicksal”

Zeruya Shalev: "Schicksal"

Triste, langatmige und oberflächliche Selbstanklagen zweier fremdbestimmter Frauen. Schade …

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Zeruya Shalevs Roman handelt im Wesentlichen von zwei Frauen mit jeweils zwei Familien, einer gegenwärtigen und einer mit einem Ex-Ehemann. Die Geschichte beginnt im britisch besetzten Israel und hört in der Gegenwart auf. Die eine Frau ist über 70, die andere über 50 Jahre alt. Ihre Namen lauten Atara und Rachel.

„Es gibt ja keinen Zusammenhang zwischen dieser Frau und dem, was ihr von ihrem eigenen Leben noch bleibt, und trotzdem steht sie weiter dort in der sengenden Sonne und gibt noch nicht auf. Vielleicht hat sie noch eine letzte Chance, vielleicht muss sie ihm [ihrem Ehemann] folgen, so lange klingeln, bis die Tür geöffnet wird.“

In einer verwickelt-verwobenen Schuld-und-Sühne-Erzählung befreunden diese beiden Frauen sich, geben sich Halt, suchen einen Weg aus dem Schlamassel, aus ideologischen, religiösen, nationalistischen und revolutionären Problemen. Der Roman „Schicksal“ ist jedoch nicht politisch. Er ist äußerst privat und handelt zumeist nur vom inneren Monolog der beiden Frauen, von der Beziehung zu ihren Männern, zu ihren Söhnen und Töchtern, davon, was es heißt, Kinder in einem besetzten Land zu bekommen. In quälend langen Passagen räsonieren sie über die Ehe, die Beziehungen, über das Kindererziehen, über die Möglichkeit, wie alles hätte sein können, wie sie alles hätten besser machen und tun können, wären sie nur in der Lage gewesen, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun, gäbe es nur die Möglichkeit, irgendetwas zwischen Himmel und Erde zu kontrollieren. Ein schöner und in seiner Art in diesem Buch seltener Satz lautet:

„Die Gazelle, ihr Leben, wurde gerissen. Raubtiere haben ihm das Fleisch abgenagt, Geier sich auf seinen Kadaver gestürzt. Die Überreste hat das Feuer verzehrt, und der Wind hat die Asche zerstreut, das ist alles, was übrig geblieben ist, diese schwarze Asche, durch die sie sich tastet.“

Mit großem Bedauern stellt sich nach dem Lesen keinerlei bleibender Eindruck ein. Die Landschaftsbeschreibungen bleiben blass, die psychologischen Analysen platt, die Beziehungen klischiert, und die Probleme oberflächlich und selbstzerstörerisch. Nirgendwo in dem Buch traut sich die Autorin, ihre Figuren von Innen heraus zu beschreiben. Beide Frauen bleiben dezentriert, von außen bestimmt, definiert durch ihre Kinder und Ehemänner, Väter und Mütter, durch ihr Land und ihre Religion, durch Tradition und Erwartungshaltungen ihrer Mitmenschen. Sie fühlen sich wie Spielbälle und bleiben es bis ins letzte Detail. Von Aufbegehren, Widerstand und Selbstbehauptung keine Spur, aber auch nicht von einer wilden, sich zerfleischenden Entblößung und Selbstanklage.

Der Roman bleibt im Fahrwasser des Ungefähren, handelt aber von Tod, Krankheit, Vergewaltigung und Terrorismus. Nicht das Menschliche steht im Vordergrund, sondern das Oberflächenspiel, das Sprechen während einer Familienfeier, der Tratsch und Klatsch, den man ungefährlich zum Besten geben kann. Sehr schade. Ich stand dem Buch sehr positiv gegenüber. Ich habe es am Ende nur noch mit Mühe und mit stets zufallenden Augen lesen können, so staccatohaft und parataktisch rasten die Selbstbeschuldigungen über die Figuren einher, ohne irgendwo Intensität zu erzeugen. Ich kann nicht einmal sagen, dass ich es bereue, dieses Buch gelesen zu haben. Es liegt im Unentschiedenen, farblos und aussagelos. Ich gebe einen Stern, weil das Buch sehr lang ist und sehr langweilt.

Eine thematisch ähnliche viel kürzere Geschichte, interessant und intensiv, bekommt man mit dem Theaterstück von Jean-Pau Sartre „Die Eingeschlossenen von Altona“ geboten, und die ehrlichere Variante dieses Buches lautet „Kinder der Toten“ und wurde von Elfriede Jelinek geschrieben, ist aber viel länger, aber auch viel lesenswerter.

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