Uwe Tellkamp: “Der Schlaf in den Uhren”

Ermüdender magischer Realismus

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Uwe Tellkamp ist bewusst oder unbewusst in die Fußstapfen von Günther Grass getreten. Mit „Der Turm“ legte er eine glasklare Fortschreibung und Fortsetzung von „Ein weites Feld“ vor. Als Chronist der deutschen Nachkriegsgeschichte arbeitete er sich bislang an den disparaten Welten und sozialen Prozessen ab wie seiner Zeit Grass, der ebenfalls zu allen Themen und aktuellen Problemzonen einen Roman verfasst hat. Tellkamp geht mit „Der Schlaf in den Uhren“ nun neue Wege, die die engen narrativen Bahnen eines an Theodor Fontane angelegten narrativen Realismus weit hinter sich lassen. In seinem Roman geht es nämlich nicht um die Bundesrepublik Deutschland, noch um die Deutsche Demokratische Republik, sondern um ein chimärisches Spiegelbild namens Treva, Argo und Brenta, in welchem »das Mammut«, »General«, »das Fossil«, »Außen Eins« und »Außen Zwei« der trevischen Nachrichtenagentur und die Tausendundeinenacht-Abteilung auf der »Kohleninsel« samt der »Dunkelgrauen« und »Hellgrauen Eminenz« ihr Unwesen treiben:

„Die Kohleninsel ein Labyrinth zu nennen wäre untertrieben, es gibt Labyrinthe auf mehreren vertikalen und horizontalen Ebenen, die den Archipelagus durchziehen, wie wir unser Gebiet vorzugsweise nennen. Der einfache und Staatsname erscheint uns unpassend und allzu oberflächlich.“

Uwe Tellkamp aus: “Der Schlaf in den Uhren”
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David Wonschewski: “Blaues Blut”

Kompromissloser Selbsterfahrungstrip in F-Moll.

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In „Blaues Blut“ treibt David Wonschewski den Begriff selbsttherapeutisches Schreiben auf die Spitze, und zwar melodisch, rhythmisch, intensiv vom aller ersten Wort an. Er nimmt kein Blatt vor dem Mund, lässt alles raus, aber nicht wahllos, ungeformt, sondern in sich verdichtenden, amalgierenden Sequenzen und Stanzen in Oktaven- und Oratoriumsform. Das Ergebnis liest sich als Tour de Force einer Selbst- und Weltdestruktion, die so intensiv, voller Verve vonstattengeht, dass sie aus reiner Lebenslust entspringt. Was nämlich auf den 250 Seiten Roman und Prosatext geschieht, ist Brandschatzung, Atomisierung, das vivisektiererische Recycling, um einen Neuanfang zu ermöglichen, und dies in den besten Jahren der einsetzenden Midlife-Crisis Mitte vierzig:

„Doch du hast keinen guten Morgen und auch keinen wohlfeilen Abend und du bist auch kein Philosoph. Das wissen sie [die Mitmenschen] auch, ihnen ist klar, dass du kein Philosoph bist. Was sie allerdings nicht wissen ist, was du überhaupt bist, was du so treibst, weswegen sie dich Philosoph nennen, aus einer grotesken Hilflosigkeit heraus. Du warst einmal zwanzig Jahre alt und Soldat, du warst einmal fünfundzwanzig Jahre alt und Student, dann warst du dreißig Jahre alt und arbeitetest in Hotels, als Portier, als Nachtwache, als Putzkraft, beim Zimmerservice. Du verticktest Immobilien und lerntest in allerlei Branchen allerlei Kunden möglichst galant die Därme hinaufzukraxeln.“

David Wonschewksi: “Blaues Blut”
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Kristine Bilkau: “Nebenan”

Einfache Leben in blauen Pastelltönen – ruhig und literarisch besonnen.

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Oft überschlagen sich die Themen in Romanen, hetzt ein Mord den anderen, folgt Sex auf Gewalt, und Gewalt auf Sex. Krieg, Katastrophen, Pandemien werden besungen, bedauert, aber auch wollüstig beschrieben. Ein Lied von Eis und Feuer gerät schnell zu einem aus Tod und Trauer. Kristine Bilkaus Roman „Nebenan“ ist eine Ausnahme. In ihrem Roman geht es um eine Leerstelle, um ein Fehlen, um eine Frage, die im Zentrum von allem steht: Was ist mit der Familie von nebenan passiert?

„Es ist, als würde sie aus einem Traum erwachen und zurück in der Gegenwart landen. Der Efeu vor dem Fenster, der Apfelgeruch unter den Dielen, das Brummen der Fähre auf dem Kanal, das leere Nachbarhaus und die dunklen Dachfenster, alles das gehört zu diesem Traum. Und jetzt fühlt es sich an, als würde sie nach Hause kommen.“

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Eva Christina Zeller: „Unterm Teppich“

Mit ungeschützter Offenheit als Schutz. Inspirierender Mut zum Ausdruck.

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Zwischen Prosa und Lyrik, zwischen Traumdeutung und Autobiographie hin und her pendelnd, verknüpft Eva Christina Zellers Unterm Teppich – Roman in 61 Bildern ihre Welt mit der aller anderen. Sie berichtet von Krankheit, Schmerz, von Liebe und Enttäuschung, von Verheißung und Freiheit und gesellt sich als verbindendes Element zwischen Helga Schuberts Vom Aufstehen und Friederike Mayröckers da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete. Formwille und Fabulierlust als Reise der eigenen Authentizität entgegen:

Ich mag keine erfundenen Geschichten. Die erlebten sind doch schon schwierig genug. Aber das ist nur eine Seite.

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