Julia Schoch: „Das Liebespaar des Jahrhundert“

Einübung in Bescheidenheit, sowohl literarisch wie psychologisch.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2023/…

Romane in direkter Anrede erfreuen sich in letzter Zeit zunehmender Beliebtheit. Das Geschriebene steht direkt für das Gesprochene ein und verwandelt den Roman, vormals Reflexionsmedium, in  einen Gesprächsersatz. Als neueste Beispiele dienen Virginie Despentes‘ „Liebes Arschloch oder Juli Zehs und Simon Urbachs „Zwischen Welten. Die Du-Form, die Julia Schoch in ihrem neuesten Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ gewählt hat, adressiert nun das je einzeln lesende Publikum direkt. Es wohnt nicht nur einem Gespräch zweier Streitender und Sich-Liebender bei, es darf sich einbezogen und angesprochen fühlen. Die Du-Form erhöht auf diese Weise den Authentizitätsgrad des autofiktionalen Theaters, die Autorin spricht vertraulich von Du zu Du:

„Ich bedaure, dass es nicht mehr Bilder von uns aus jener Zeit gibt. Fotos von uns als Liebespaar. Als ich es das erste Mal bedauerte, als es mir zum ersten Mal bewusst wurde, war es ein klarer, kalter Wintermorgen, viele Jahre später. Du hattest mir mit verschlossener Miene mitgeteilt, du würdest für ein paar Tage verreisen. Dann hast du die schwarze Ledertasche genommen und die Wohnung verlassen. (Wie man sieht, hattest auch du Lust gehabt zu gehen. Ich vermute es, ganz sicher war es so. Aber dies hier ist meine Erinnerung.)“

Schochs Text führt ein Spiel mit doppeltem Boden durch. Das „Du“ spricht den Partner der Ich-Erzählerin an, der in Eigenschaften und Herkunft konkretisiert wird (Akademiker, aus der ehemaligen DDR, männlich, widerborstig, geboren um die 1970), aber ebenso als Adressat das Publikum, das sich angesprochen fühlen darf, an seiner Statt, das heimlich in dessen Rolle schlüpft. Der Roman kann als sehr langer Brief an den Partner verstanden werden, der dem Publikum nur zufällig in die Hände gefallen ist. Die Einschübe in den Klammern jedoch, die Selbstreflexion, weist ihn als Text an sich selbst auf, indem sie sich gegenüber ihrem imaginierten Gesprächspartner ermahnt, sich selbst treu zu bleiben. Der Ich-Erzählerin gelingt es nämlich nicht wirklich zwischen dem Wir und dem Ich zu trennen:

„Wir sind eigenständige Wesen, Individuen. Folgt man der Logik der Diskurse, in denen ich mich seit meiner Jugend bewege, ist das der erstrebenswerte Seinszustand eines Menschen. Für mich hat das Wort etwas Klägliches. In der Welt meiner Kindheit war ein Individuum nichts Gutes. Und selbst heute noch haftet ihm in meinen Augen etwas von einem Schimpfwort an. Mein Vater, der Offizier, hat manchmal seine Verachtung gegenüber bestimmten Personen mit diesem Wort ausgedrückt.“

Konsequenterweise beschreibt „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ ein völlig der Details entkleidetes Beziehungsdramas. Es gibt Eifersucht, Seitensprünge, aber keine Gesichter. Es gibt Probleme, Streitereien, aber keine Themen. Es gibt Kinder, ohne Geschlecht und Namen und Geburtstage. Es gibt Städte, Freunde, Bekannte, Familie, ohne Aussehen, Geschichte und Hintergrund. Im Grunde gibt es nichts als die Bespiegelung und Verspiegelung der eigenen Wahrnehmung der Ich-Erzählerin, die gehen und nicht gehen, die sich trennen und nicht trennen, die den Partner kennen und nicht kennenlernen will. Sie bleibt gefangen in diesem Dilemma.

„Mir kam der Gedanke, dass ich dich unbedingt, um jeden Preis, sterben sehen wollte. Später, wenn es so weit wäre. Es war kein höhnischer Gedanke. Ich wollte nicht den Sieg davontragen. Ich wollte einfach dabei sein, erst dann wäre wirklich Schluss. Sich vorher zu trennen kam mir unsinnig vor. Wozu das Ganze, all die Gedanken und Gefühle, die man investiert hatte, wenn man nicht das Finale erlebt? Nein, in keinem Fall durfte man eine Geschichte zu früh abbrechen.“

Julia Schochs Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ zeichnet sich durch erhöhte Verallgemeinerungen und Abstraktheit aus. Der Partner existiert als reines Gegenüber. Die Realität als ablaufender Prozess, den es irgendwie zu besiegen, zu überstehen gilt. Eine unheimliche Abgeklärtheit durchzieht den Text, eine monumentale Distanz zum eigenen Gefühl, zum eigenen Wunsch und Dasein. Entsagung als Lebensprinzip. Schochs Roman zeichnet sich deshalb vor anderen Romanen dieser Art aus, bspw. Daniela Kriens „Der BrandJenny Erpenbecks „KairosIrvin D. und Marilyn Yaloms „Unzertrennlich: Über den Tod und das Leben oder Simone de Beauvoir mit ihren Romanen wie „Die gebrochene Frau“ und „Sie kam und blieb“. Widerstand ist zwecklos – eine Einübung in Bescheidenheit, sowohl literarisch wie psychologisch.

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