Doris Wirth: „Findet mich“

Ein Familienvater vergeblich auf der Flucht, narrativ den Brüchen entlang erzählt. (Deutscher Buchpreis-Longlist)

Doris Wirths Roman Findet mich nimmt das Thema Familie, Eltern, Eltern-Kind-Beziehung auf und behandelt eine Art fiktiv-biographisches Spektakel einer Tochter, die sich keinen Reim auf das Verhalten ihres Vaters Erwin machen kann. Erwin, verrückt, überanspruchsvoll, pflichtbewusst, besessen, doch vom eigenen Vater kleinhalten, hat Schwierigkeiten, sich am Riemen zu reißen:

Sie knöpft sein Hemd auf, aber er hält ihre Hände fest, zieht seinen Gürtel aus und schnürt ihn eng um ihre Handgelenke. Sie schaut ihn an, nicht ängstlich, eher spöttisch scheint ihm, und das erhitzt sein Gemüt und sein Geschlecht.
»So einer bist du«, sagt sie, und er sagt: »Ich weiß nicht, was für einer ich bin, das wird sich noch zeigen, und jetzt sei besser still.«
Sie lacht, da wirft er sie aufs Bett und reißt ihr Hose und Unterhose von den Beinen.

Das frustriert-gepresste Leben Erwins als Verkäufer und Fast-Techniker stellt jedoch nur eine Fiber in dem multiperspektivischen Erzähltext von Wirth dar. Es geht um die ganze Familie, um das ineinander hakende, sich gegenseitig gefangennehmende und wieder freigebende Leben, das Florence und Lukas mit ihren Eltern Maria und Erwin in einer Schweizer Kleinstadt führen. Vieles gelingt. Manches nicht. Maria duldet Erwin, aber nur bis zu einer gewissen Grenze:

Wenn sie die Angst in ihren [der Kindern] Gesichter sieht. Wenn sie das Weinen herunterschlucken, sich in ihre Zimmer verkrümeln und da ins Kissen schluchzen. Dass sie nicht will, dass die Kinder in Angst aufwachsen. Sie hatte gehofft, dass Erwin das verstände und mit sich reden ließe. Fehlanzeige. Alles, was geschah: Erwin wurde unglaublich sauer.

Findet mich erzählt aber kein Drama. Die Form, die Komposition, die Erzählstimme halten dagegen. Florence, als geheime Strippenzieherin im Hintergrund, durchschreitet das Phantasma ‚Vater‘. Sie gibt ihm die Form einer Inkohärenz, eines Chaotisch-Guten wie Chaotisch-Bösen, einfach eine Figur, ein Leben, das mit sich ringt, innerlich zerbirst, in und aus der Rolle des Schelmes fällt. In einfacher Stilistik, aber rhythmisch und eindringlich erinnert Wirths Erzählweise an eine Marlene Streeruwitz, bspw. in Partygirl und inhaltlich oft, in der naturmystischen Berufung auf seltsame Kräfte, an Elfriede Jelineks Lust .

Weiße Nebel wunderbar. Diese Gestalten. Er liegt im Matsch und streckt und an den Händen Wasser leckt. Trinken muss der Mensch. Kein Mensch muss müssen. Wenn nur die Gedanken. Auf g-Moll kalt wie der Rhein. Sich niederlegen aufs Wasser wie ein Vogel. Vorsicht, es geht zum Brunnen, bis er erbricht.

Die vielen Anspielungen, die innertaktische Verschiebung des aktiven Subjekts, die Schwebehaltung des Erzählens beweisen eine Leichtigkeit, die sich an der Schwere des Stoffes erprobt und den Sieg davon trägt. Dieser Sprache mag nichts so schnell anhaben. Es hakt, es kämpft, es spielt noch nicht mit den Motiven, aber Wirth steht kurz davor, frei über die Sprachmöglichkeiten zu verfügen, die die Mauern und Wälle zwischen Menschen zu durchdringen vermag. Findet mich gestaltet so den Stoff von Max Frischs Stiller in neuer, interessanter, töchterlicher Perspektive, den einer Flucht, die nicht gelingt, vielleicht nicht gelingen kann und so sprachlich-literarisch der Vergeblichkeit überführt wird.

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