Nele Pollatschek: “Kleine Probleme”

Ein Neujahrsmärchen, das selbstzufrieden, über winzige Hindernisse hinweg, ins Ziel holpert.

Der Widerspenstigen Zähmung in Kleine Probleme steht nicht viel im Wege. Lars, der behäbige, verwirrte, trantütige 49-jährige Protagonist, muss keine herkulischen Aufgaben meistern. Wie in der Legende von Herkules stehen, von der genossenen Zweisamkeit am Schluss abgesehen, zwölf Aufgaben vor Lars, bspw: das Zusammenbauen eines Ikea-Möbels; das Anfertigen eines veganen Nudelsalates; das Einpacken von Geschenken oder das Beenden der Steuererklärung. Im Gegensatz also zum nemeischen Löwen, zur kerynitischen Hirschkuh oder dem erymanthischen Eber gerade zu mondäne Herausforderungen. Lars weiß sich aber zu helfen, um das Mögliche geradezu zu verunmöglichen, hier im Falle von Schrauben und Dübeln beim Fertigmöbelzusammenbau:

Vor mir lagen keine nummerierten Schräubchen, keine namenlosen Holzdinger, keine seelenlosen Plastikteile und erst recht keine 10904wasauchimmer. Vor mir lagen, in sauberen Grüppchen, glänzend und glimmend, wie frisch gebadet, zweiunddreißig Hoshis und vierundzwanzig Knülpe, vier Schlitzlinge und vier Plötze, gleich vierzig Pleumel, achtunddreißig Holzflonze und dreißig wagemutige Wüs, daneben fünfzig Wörle, zehn Plastikniezen mit großen weißen Hüten und viel zu zarten Rippen, drei lange Sporne und sechzehnmal, mit glänzenden Ringen und erhabenem Kreuz, Henriette Hannelore von Hoffmannsthal, holde Henriette, ach Henriette, ach Johanna, wenn du mich jetzt sehen könntest.

Lars spricht in Ich-Perspektive und Selbstgesprächen aus einer unbekannten Gegenwart heraus über die Ereignisse im Vorlauf einer anstehenden Silvesterfeier, bei der Johanna, seine Partnerin, aus Portugal zurückkommt, um mit ihren beiden Kindern und ihrem langjährigen Partner das neue Jahr einzuläuten. Die Beziehung steckt in einer tiefen Krise. Lars bekommt nichts hin. Er hängt zu viel am Telefon ab, raucht zu viel, prokrastiniert, was das Zeug hält, während seine Partnerin ihn finanziell aushält. Lars schwört Besserung:

Und wenn sich auch alles gegen mich verschworen hatte, meine Gedanken, mein Charakter, mein Übermut, meine Melancholie, meine Eitelkeit, meine Bedürftigkeit, meine Vergesslichkeit, meine schier unüberwindbare Faulheit, alle meine ehemaligen Ichs und jetzt auch noch mein gottverdammter Körper, den ich mir nicht ausgesucht habe, den ich mir wie alles andere nicht ausgesucht habe, für den ich nichts kann, an dem ich täglich leide, der mich auf immer neue Arten erniedrigt, an dem ich eines Tages verdammt nochmal sterben werde, Nein. Ich werde nicht aufgeben, ich werde mich vor mir nicht geschlagen geben.

Mit vielen Zitaten und Anspielungen, begonnen bei Herkules und Vergils Aeneis , über Camus‘ Der Mythos des Sisyphos und Verweisen auf das Verpackungskünstlerpaar Christo und Jeanne-Claude, zu Forrest Gump, Alfred Hitchcocks Die VögelAnna Karenina , mit Seitenhieben auf Karl Marx‘ Die deutsche Ideologie und Friedrich Engels‘ Der Ursprung der Familie plaudert die Erzählstimme im Jargon von Der Fänger im Roggen unverbindlich kursorisch über das restriktive Problem der Midlife-Krise und über die Motivationsarmut beim Verfertigen eines literarischen Meisterwerks.

In äußerst sprachminimalistische Weise werden Gedankenströme, Erinnerung, Rechtfertigungsergüsse ineinander verwoben, die aus dem 49jährigen Lars einen jugendlichen Teenager werden lassen, der nun endlich sein Leben in den Griff bekommen und die Liebe seines Lebens zurückerobern will. Das Problem nur: Er mag Johanna gar nicht, wie genaues Lesen zeigt. Er will nur nicht allein sein. Das Problem auch: Die Entwicklung findet in ein paar Stunden statt, die, wie Johanna selbst sagst, als Beweis für eine Läuterung nicht hinreichen können, wodurch die Komposition von Kleine Probleme in Schieflage gerät und Lars‘ Veränderungsprozess auch implausibel erscheinen lässt.

Dass das Ende trotzdem rührt, zeigt, wie groß die Sehnsucht nach Zeitraffung und Zeitreisen bleibt, die Pollatscheks Roman aber ihrem lesenden Publikum gegenüber einzulösen nicht gewillt ist. Die Erzählanlage traut sich über die paar Stunden erzählte Zeit nicht hinaus, und bleibt bei der Ich-Instanz auch zumeist in unüberzeugenden Rechtfertigungszirkulationen stecken.

P.S.: Ich werde, sofern mir das möglich ist, eine Wortanalyse durchführen, als weitere Ergänzung. In Pollatscheks Kleine Probleme decken 1000 Wörter knapp 82% der Textmasse ab – ein Vergleich, in Valerie Fritschs Zitronen nur 78%. Das hört sich wenig an, heißt aber, dass auf je 100 Wörter vier neue bei Frisch hinzukommen. Wahrscheinlich ein Grenzwert ist durch Jean Pauls Neologismen-Wahn gesetzt, der in Siebenkäs auf nur 71% kommt, also jede 100 Wörter kommen 29 neue hinzu.

Inhalt: 1/5 Sterne (alltäglich Banales)
Form: 2/5 Sterne (flüssig, aber zu generisch)
Komposition: 2/5 Sterne (Echtzeit, eng, undynamisch)
Leseerlebnis: 3/5 Sterne (rührend, irgendwie doch nett)

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