Stephan Schäfer: „25 letzte Sommer“

Stilistisch hilfloser Versuch, sich mit dem leeren Leben zu versöhnen.

25 letzte Sommer von Stephan Schäfer gehört zur sogenannten Erbauungsliteratur, die bewusst, fast obszön schlicht mit Fokus auf Innerlichkeit und Reinheit, ohne begriffliche Dogmatiken, gesteigertes Glaubens-, Lebens- und Frömmigkeitsgefühl anstrebt. Stephan Schäfers Erzählstimme sucht den Sinn, und er findet ihn auf dem Kartoffelfeld eines Kartoffelbauerns namens Karl:

Demnach verbringt der Deutsche durchschnittlich täglich circa zehn Stunden vor dem Computer, Smartphone oder Fernseher. In vierzig Jahren summiere sich das auf achtzehn Jahre.
»Also drastisch mehr Zeit, als man in der Regel mit einem lieb gewonnenen Menschen verbringt«, sagte Karl und ließ die Studie unkommentiert im Raum stehen.
Natürlich wusste ich, was er mir insgeheim damit sagen wollte. Seine Botschaft war vorsichtig verpackt, aber gleichzeitig charmant und herausfordernd. Karl lächelte mich milde an.
»Komm, ich zeig dir mein Kartoffelfeld.«

In der Frühneuhochzeit (um 1350), als noch keine Romane geschrieben wurden, gaben Bänkel- und Minnesänger Lebensmut fördernde Verse zum Besten. Sie zogen durch Tavernen, hatte ein paar Histörchen parat und tranken und tanzten. Schäfers Ich-Erzähler tanzt nicht, aber er sehnt sich danach. Er sehnt sich nach einem guten, langsamen, ruhigen Leben, eines, das wieder Sinn ergibt, statt ihn Hotelzimmern zu hocken und das Spielzeug seiner räumlich von ihn getrennten Kindern zu beglotzen:

Irgendwann hatte ich [auf Geschäftsreisen] angefangen, mein Notfallset gegen allzu großes Heimweh dabeizuhaben: ein selbst gemaltes Fingerfarben-Bild meiner Tochter, ein kleines Holzflugzeug, das mein Sohn in der Grundschule für mich gebastelt hat, ein graues T-Shirt mit V-Ausschnitt und dem Duft meiner Frau.

Es wäre ein Leichtes, stilistisch über das Buch herzufallen. Auffällig hölzerne Vergleiche, widerborstige Metaphern, klappernde Naturbeschreibungen und an Kitsch grenzende Sprachgesten, die auffällig geradlinig ihr Ziel verfehlen, nämlich die erzählten Figuren lebendig werden zu lassen. 25 letzte Sommer erreicht unter diesem Zeichen nicht einmal Sebastian Fitzeks Der erste letzte Tag, das das Mindestmaß an Plot und Handlung besitzt. Dennoch, auch dieses Buch sucht Frieden:

Jetzt saß ich auf diesem Hof und sortierte Kartoffeln. Vor mir lagen noch 25 Sommer, wie Karl es am See so bildhaft auf den Punkt gebracht hatte. Irgendwann ist immer jetzt. Es galt, keine Zeit mehr zu verlieren, die vergangenen beiden Tage sollten mir Zuversicht geben. Mut hilft immer, Angst nie. Das hatte Karl mir gezeigt. Warum sollte mir das nicht auch gelingen?

Quasi als neumodische, alyrische, entsprachlichte Version eines Johann Wolfgang Goethes West-östlicher Divan. sucht Schäfer Differenzen à la couleur zu überbrücken, gerade ohne Farbe zu bekennen, ohne Plan, ohne Ziel, einfach nur Sein. 25 letzte Sommer muss als Einstiegsliteratur verstanden werden, als Vorstufe, als erster Schritt hin wieder zum Lesen, zum Zeitlassen, zur Kontemplation. Wer nicht mehr liest, greift vielleicht zu diesem Text, ähnlich wie das illiterate Tavernenpublikum sich durch Reinmar der Alte oder Der Kürenberger von der Pastourelle begeistern ließ. Derb, fröhlich, markant feierte es die potenten Birnenbraterinnen ab – Kritik findet Nahrung erst im zweiten Schritt.

Kategorien? Nein. Erklärung oben.

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