Hiroko Oyamada: „Das Loch“

Das Loch by Hiroko Oyamada

Gespenstisch-lustgeladene Imaginationen im Abseits. Traumnovelle auf Japanisch.

Oyamadas Kurzroman steht klar in Kontext zu Haruki Murakami aus bspw. Die Stadt und ihre ungewisse Mauer und Sayaka Murata in Das Seidenraupenzimmer und Die Ladenhüterin. In Oyamadas Text spielt auch die Differenz Stadt/Land, Kinder und Kinderlosigkeit, Beruf und Arbeitslosigkeit eine Hauptrolle. Die Protagonistin heißt Asahi und irgendwie läuft ihr Leben nicht wirklich so, wie sie es sich vielleicht vorgestellt hat, insbesondere ihre Ehe zu Muneaki nicht, der im Grunde nur an seinem Handy hängt:

»Meinst du, deine Mutter denkt, ich sei fest angestellt?«
»Nein, das weiß sie, glaube ich …« Die Finger meines Mannes fuhren in Windeseile über die Tasten [seines Handys]. Es hat Zeiten gegeben, als ich wissen wollte, was er so treibt, aber mittlerweile interessiert es mich kaum mehr: Solange er nicht in kriminelle Machenschaften oder sexuelle Exzesse verwickelt ist, muss ich nicht im Einzelnen erfahren, worüber er sich mit seinen mir unbekannten Freunden austauscht.

Die Messlatte liegt also nicht sehr hoch. Asahi bleibt alles so ziemlich gleich, also kündigt sie auch ihren Job, als es hieß, dass Muneaki versetzt werden würde, zumal ein Pendeln für sie zu ihrer alten Wirkungsstätte, in der sie ohnehin nicht zu den Festangestellten gehört, nicht in Frage kommt. Sie fällt in ein Loch. Aufgeladen mit Spannung, Hitze und Feuchte, Gerank und Blumen, Erde, Matsch und Insekten, Tieren und Geräuschen, Zirpen, Schwüle und Sommerhitze verbringt sie ihre freie Zeit mehr schlecht als recht:

Plötzlich bog das Tier zum Deich hin ab. Genau an dieser Stelle war das dichte Gras niedergetreten, als wären schon öfter Tiere dort entlanggegangen. Es lief den Hang hinunter. Ich folgte ihm unwillkürlich. Es trappelte die Uferböschung hinab, als spüre es das Gefälle nicht, als hätte es Hufe. Das spitze Schilf zu beiden Seiten strich über meine Haut. Das Wasser leuchtete schwarz. Bei jedem Schritt, den ich machte, hatte ich das Gefühl, ich würde lauter Dinge unter mir zertreten. […] Ich fiel in ein Loch.

In nüchterner Prosa berichtet Asahi über ihren Sommer, ihre Ehe. Sie trifft gespenstische Gestalten, Lebewesen, bildet sich Dinge ein, imaginiert, langweilt sich. In flüssigem Stil, neblig-nebulös, feucht-fröhlich, unheimlich-doppelbödig fließen die Sätze, gemäß der Landschaft, gemäß den Licht-und-Schatten-Spielen. Abstrakte, konfuse Gespräche finden statt, Figuren tauchen auf, verschwinden, sterben. Es wird gekocht, gegessen. Nur nicht berührt. Berührt wird allegorisch, denn im Grunde erscheinen Asahis Erlebnisse als Phantasien, als sexuelle Eskapaden in einer lieblosen Ehe, in der Muneaki vielleicht sogar eine Affäre hat.

Das Loch zeichnet sich durch eine seltsame, libidinöse Stimmung aus. Es zieht ahnende semantische Kreise um das Begehren. Das Loch selbst, um das sich alles dreht, im Matsch, in das Asahi zeitweise verschwindet, symbolisiert das Begehren, die Selbstliebe, aber auch die Depression, Frustration, die Spannungen alleine nicht loswerden zu können. Sie trifft Figuren, die ihr helfen, eine Hand reichen, mit denen sie spazieren geht, hinab ins Schilf, sich versteckt. Expliziert wird nichts, nur angedeutet, aber auf diese Weise gelingt es Oyamada, eine Psyche der Verdrängung, der Repression lebendig werden zu lassen, die nachbebt. Es ist ein Schauerstück, und in seiner Präzision, Tiefendimensionalität durchaus vergleichbar mit Arthur Schnitzlers Traumnovelle .

Inhalt: 3/5 Sterne (eheliche Verdrängungsillusionen)
Form: 3/5 Sterne (gefällig, flüssig, adjektiv-umrankt)
Komposition: 3/5 Sterne (atmosphärisch-szenisch)
Leseerlebnis: 5/5 Sterne (schwebender, dechiffrierender Genuss)

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