Stephen King: “Später”

Ein wahres Kleinod an Lesegenuss.

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Das neue Buch von Stephen King ist lesenswert, flüssig, gut komponiert. Es besitzt den Charme von alten kleinen wunderlichen Dingen in den Schränken der Großeltern. Magisches durchflutet manche Zeilen und zurecht schreibt er “Bücher sind Magie zum Mitnehmen”.

Das Buch beschreibt eine wunderbare Mutter-Sohn-Beziehung, angereichert durch die spezielle Fähigkeit des Sohnes, mehr als andere zu sehen, was einige Probleme mit sich bringt. Mutter und Sohn leben dennoch, trotz aller Schwierigkeiten, ein gutes Leben, und die Mutter stellt sich als Lebenskünstlerin und verlässliche Größe in dem Leben des Heranwachsenden dar.

Es ist ein sehr schönes Buch, ein sehr warmes, das spannend, gruselig ist, aber vor allem Hoffnung erzeugt. Ich werde das Buch ganz sicher ein zweites Mal lese, getreu der Aussage von Jean Paul “Ein Buch, das nicht wert ist, zweimal gelesen zu werden, ist auch nicht wert, dass man’s einmal liest.” Der neue King ist es wert, sehr oft gelesen zu werden. Wunderbar!

Benedict Wells: “Hard Land”

Als Buch für Heranwachsende, die die 80er nicht kennen, nicht schlecht.

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Benedict Wells Roman „Hard Land” ist ein Roman für Heranwachsende. In der denkbar einfachsten Art und Weise geschrieben, handelt er von allem, was ein Teenager-Junge so umtreibt, wenn er nicht zu den Sportlern, politischen Aktivisten, Künstlern oder Nerds oder den Reichen und Gutaussehenden gehört, denen alles egal sein darf und die nur Partyexzesse feiern.

Die 49 Geheimnisse werden in 49 Kapiteln angedeutet, ausgeführt und mittels teilweise schmerzhaften Klischees zusammengehalten, die aber jugendliche LeserInnen nicht stören werden, noch können. „Hard Land“ liest sich wie eine Einladung, mal wieder oder zum ersten Mal die achtziger Jahre Filme anzusehen, die 80er Jahre Songs von Springsteen, Billy Idol, und Aha zu hören und entsprechende Geräte wie Walkman ins Leben zurückzurufen.

Vergleichbar mit „Fänger im Roggen“ von J.D. Salinger, aber ohne den Witz, oder Albert Camus „Der Fremde“ nur ohne Drama und existenzielle Metaphysik, oder Stephen Kings „Stand by me“, nur ohne Spannung, sind die vier besten Freunde exakt Hightower aus „Police Academy“, Cameron als Ferris Bueller aus „Ferris macht blau“, und dann Kirstie als blonder Verschnitt von Megan Fox samt dem Ich-Erzähler Sam aus „Transformers“. Am Ende geht es um das Immerselbe – also keine Spoiler hier.

Wer sich also an Sätzen übers Sterben nicht stört wie „Wenn es also wirklich sein soll, wäre es am besten, wenn es schnell ginge. Wie ein Sprung in die Tiefe ohne Aufprall.“ und keinen Wert darauf legt, dass die Geschichte in den USA spielen soll, sich aber wie Hölz-Büttgen in Nordrhein-Westfalen anfühlt, einfach mal die Beine hochlegen möchte, um ein paar unanstrengende Stunden mit Lesen zu verbringen, der kann zugreifen. Dem Rest empfehle ich jeden Roman von Stephen King, oder Haruki Murakami, oder Albert Camus.

Yuval Noah Harari: “Homo Deus”

In den erzählenden Passagen unterhaltsam/brillant – argumentationslogisch jedoch irritierend blass.

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Yuval Noah Hararis Buch „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen” basiert im Wesentlichen auf der Annahme, dass den Menschen vor allen anderen Lebewesen die Eigenschaft auszeichnet, in einer Welt der Intersubjektivität leben zu können. Der Inhalt des Buches lässt sich kurz umreißen:

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Christian Kracht: “Eurotrash”

Untot im Rausch durch die Schweiz

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Folgt man dem postmodernen Zeitgeist a la Lyotard befinden wir uns in einer Zeit nach dem Ende großer Erzählungen, d.h. in der nur noch sich selbst transparente, oder untote Erzählungen hin und her geistern, kleine Erzählungen voller verwobener und irrelevant gewordener Details existieren können. Mischt man noch Klischees, Erfahrungsarmut in die These, würzt sie mit der Schweiz, dem Nationalsozialismus, Demenz und Familienproblematik, sexuellen Missbrauch und Sadomasochismus, und garniert dieses Gebräu mit Anekdoten aus dem Spiegel-Magazin der letzten sieben Jahrzehnte, so erhält man, schüttelt und rüttelt man nur genug, den neuen Roman von Christian Kracht: „Eurotrash“, der sich wie ein Who-is-Who der bundesrepublikanischen Plattitüde eines inexistenten Literatursalons gehobener Söhne und Töchter mit Abschluss in Germanistik liest und auch von einer künstlichen Intelligenz geschrieben werden hätte können. Siehe hierzu das bald erscheinende Buch Daniel Kehlmanns „Mein Algorithmus und ich“.

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Hengameh Yaghoobifarah: “Ministerium der Träume”

Eine Wortmeldung der explosiven Art

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Yaghoobifarah ist eine moderne Antigone im Kampf um das Vermächtnis der Schwester, ein Ringen um Verstehen, um das Durchbrechen der Angst, eine Antigone, die sich nicht an die Regeln halten kann, noch halten will, so lange, bis sie einmal nicht mehr ironisch, voller Enttäuschung und Traurigkeit feststellen und sagen muss „Nicht schlecht, Deutschland“, sondern es sagen will und kann, da sie endlich angstlos leben und lieben kann, und zwar ohne Angst und fremdaufmodulierter Reue.

Wer sich von diesem Buch angegriffen fühlt, hat viel über sich, nicht über die Autorin zu lernen. Hier bricht sich eine Literatur bahn, die beschreibt und kein Blatt vor dem Mund nimmt. Der Schmerz ist nur ein Teil – die Lautstärke ein anderer. Beides wird von der Wut zusammengehalten, die den Text rahmt und Kontur verleiht. Wer den ungeschönten Blick wagt, wird belohnt. Uneingeschränkt lesenswert.

Alena Schröder: “Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid”

Ein Buch, das zu kurz ist, für das, was es will.

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Wie der Titel so auch das Buch. Es will zu viel. Es will Zeitgeschichte schreiben, Frauenemanzipation rekonstruieren, und die psychologischen Untiefen der aufgegebenen und eingegangenen Mutterschaft erforschen. Sehr gut lesbar, mit manchen schönen Szenen, ja, fast poetischen Bildern, die gelungen in Szene setzen, was Freiheit ist oder sein könnte, ein Leben im Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre. Als politischer Roman leider völlig unbrauchbar, und als Rechtfertigungsstrategie, eine nationalsozialistische Familienangehörige nicht zu verteufeln, sondern in ihrem komplexen Umfeld zu verstehen, beinahe ärgerlich. Der Roman entfaltet dort seine Stärke, wo Verwirrung und gefühlsmäßiges Chaos die Überhand nehmen, auf keine Klischees zurückgegriffen wird und sich Schmerz die Bahn bricht. Alena Schröders Roman jongliert mit zu vielem und deshalb fällt vieles zu Boden, zersplittert, entsetzt. Das aber, was am Ende in der Hand bleibt, ist dennoch lesenswert, auf seine bescheidene Art und Weise – die Hoffnung und das Recht der Frauen, nicht auf ihre Mutterrolle vereinseitigt zu werden. Sprachlich neuzeitlicher Standard, glattgeschliffener Stil, inhaltlich eine Tour de Force, aber mit intensiven Passagen, die auf ein weiteres Buch hoffen lassen.

Sebastian Fitzek: “Der Heimweg”

Ein problematisches Buch mit Schwächen in der Erzähltechnik.

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Sieht man von allem ab, was an dem sogenannten Psychothriller von Sebastian Fitzek stören könnte, bspw. die geschmacklosen Beschreibungen, die laut Autor die Empathie einüben sollen, die aber lediglich dazu dienen, zu überprüfen, ob man Empathie hat oder nicht, so bleibt nichts als eine Erzählmakulatur schlecht zusammengezimmerter, aus herkömmlichen Kriminalromanen zusammengeclickte Schockideen übrig.

Ärgerlich nämlich ist, dass Dinge dem Leser beschrieben werden, die gar nicht der Wahrheit entsprechen. Das führt dazu, dass X als Y über viele Seiten beschrieben wird, bis plötzlich, oh Wunder, X gar nicht Y, sondern Z ist, und so weiter. Das ist in etwa so toll, wie von einem Weltuntergang zu lesen, der plötzlich nur ein Film gewesen ist, den sich jemand auf seinem Fernseher angesehen hat, während er auf seine Pizza wartet.

Der Roman treibt ein unfaires Spiel. Man kann sich auf keine Beschreibung, Benamsung verlassen. Der Autor hält sich an keine Regel – aber wer spielt schon gerne ein Spiel, in dem niemand die Regeln kennt. Am Ende wird also etwas aufgelöst, was ja wieder völlig anders sein kann. Aber wen, darf man fragen, interessiert dann die Auflösung noch?

Irgendwie enttäuschend, wahrscheinlich wegen übertriebener Erwartung.

Haruki Murakami: “Erste Person Singular”

Ein Schreiben, auf dass die Worte nicht verschwinden. (Spiegel Belletristik-Bestseller 07/2021)

Belanglos durchs eigene Leben.

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Geschmack hin oder her. Erstens, es handelt sich um Kurzgeschichten, die beinahe überhaupt keine Pointe besitzen. Am geschmacklosesten ist die Episode, in der ein Affe sich in Frauen verliebt, aber nach unerfolgreichem Werben um die Gunst ihren Namen stiehlt, um wenigstens etwas von ihnen zu haben. Das ist kein Spoiler – der Inhalt in Murakamis Texten ist der Stil. Lakonisch, harmlos, verwirrt geistert er durch sein eigenes Leben und faselt von Musik. Sprachlich konsequent, schnell, schmerzlos lesbar, um alles Gelesene sofort wieder zu vergessen. Das Buch liest sich wie das Gestammel eines Traumatisierten. Wer sich schmerzlos Murakami abgewöhnen möchte, ist hier an der richtigen Adresse. Das Murakami dennoch literarisch heraussticht, liegt an seinem Umfeld und nicht an ihm selbst. Deshalb drei Sterne und für die freundliche Geschichte über die Dichterin.

Judith Butler: “Die Macht der Gewaltlosigkeit”

Die gute Unterhaltung, oder: Die Kunst der kritischen Vernunft.

In Judith Butlers neuem Buch “Die Macht der Gewaltlosigkeit“ werden nebst Nachwort und Vorwort hauptsächlich in vier Kapiteln Texte von Kant und Hobbes; von Klein und Fanon; von Foucault und Benjamin; sowie von Einstein und Freud besprochen. Alle Kapitel handeln von Gewalt und Gewaltlosigkeit, Trauer und Betrauerbarkeit, Individualität und Kollektivität in lokalen wie globalen Macht- und Rechtszusammenhängen. Der klare Höhepunkt wird schließlich im dritten Kapitel erreicht, als Butler namentlich die Opfer von polizeilicher Gewalt in den USA aufzählt, Frauen, die wegen Verstößen der Straßenverkehrsordnung erschossen wurden.

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Slavoj Zizek: “Sex und das verfehlte Absolute”

Die Gegenwart in Gedanken gefasst – Reflexionseinübung auf höchstem Niveau.

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Ein 592 Seiten in sich verwinkeltes, sich wiederholendes, re-paraphrasierendes hypo- und parataxisches Ungetüm – Zumutung oder Befreiungsschlag, Großdenker oder Provokateur? Es geht um Beckett, um Lenin, um den Holocaust, um MeToo. Es geht um Freud, Lacan, immer wieder Hegel. Es geht um Badiou, den Kollaps der Wellenfunkton in der Quantenmechanik, um Kafka, Zupancic, um Butler und Kristeva, rund um den stets herauswabernden Kant und Schelling, das Unheimliche Platons, Trump, Zynismus und die ewige Wiederkehr von Geschlechter-Binärem, dem Symbolischen, Imaginären, dem Realen des Hollywood Kinos, über Cary Grant zu Tom Cruise, Hitchcock vor und zurück und independent Science-Fiction Filme, Neurologie, künstliche Intelligenz und dem Virtuellen am Sex, das objet a und das durchkreuzte Subjekt.

Der Preis seines Versuches, konstruktiv Verwirrung zu stiften, ist groß. Er unterminiert literarisch, journalistisch Versuche, politische konkrete Projekte durchzusetzen, zynisiert Trump als Wegbereiter eines größeren linken Emanzipationsprojekts, und dekonstruiert reformerisch eingestellten Diskursen die Sprache und Begrifflichkeiten, indem alles auf einen phallogozentristisches M+ zurückgeführt worden ist.

Wer ihn aber in die Hand nimmt, um den Geist aufzulockern, als Geisteslockerungsübung und -entkrampfung, also nicht argumentativ, diskursiv, sondern poetisch liest, bekommt viel geboten – nur eben keine Antworten.