Katerina Poladjan: „Zukunftsmusik“

Katerina Poladjan: „Zukunftsmusik“

Abgeklärte Resignationslosigkeit … eine literarische Atempause als Ruhe vor dem Sturm.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Einer Erfahrung ein historisches Bild zu verleihen und jenes aus dem Fluss der Zeit herauszubrechen, gehört zu den erstaunlichsten Wirkungsweisen eines Romans. Die Verwandlung von Kontinuität in Diskontinuität erlaubt es, rückläufig wieder anzuschließen und aufzuschließen, und Kommunikationspotential zu erschließen, die sonst anderweitig vor sich hinschlummern müssten, ohne ihren Erfahrungsgehalt entfalten zu können. Katerina Poladjan hat den 80ern Jahren der kurz vor ihrem Ende stehenden Sowjetunion ein Kleinod entrissen und in „Zukunftsmusik“ zu einer Allegorie auf Veränderung verwandelt. Der Roman glänzt und schimmert und funkelt.

“Die Sonne stand tief über dem Wasser des schwarzen Flusses, auf der anderen Seite leuchtete die Fabrik von elektrischem Schein umkränzt, davor das abschüssige Ufer. Es war warm wie an einem Sommerabend, und doch lagen zwischen den Hügeln auf den Rasenflächen Schneereste. Im Osten das Wäldchen, ein dunkler Schattenriss, und ungewöhnlich kleine Kirschbäume blühten in voller Pracht unter einem wolkenlosen Himmel.”

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Alois Hotschnig: „Der Silberfuchs meiner Mutter“

Blick ins ungezähmte Chaos … SWR Bestenliste Platz 1 (02/2022)

Kriege ziehen viel mehr in Mitleidenschaft als nur die oberflächlichen Zerstörungen und Verwüstungen und Verletzungen. Sie erschüttern Vertrauen, zwischenmenschliche Verhältnisse bis in die letzten Fasern und Fibern des Seins hinein. Untersucht Stefanie vor Schulte in „Junge mit schwarzem Hahn“ die unmenschlichen Gewaltverhältnisse während des Dreißigjährigen Krieges, so analysiert Susanne Abel in „Stay away from Gretchen“ die Problematik der während der Besatzung durch die Alliierten gezeugten Kinder im Nachkriegsdeutschland und Edgar Selge in „Hast du uns endlich gefunden“ die Wirkungen und Zerrüttungen des Krieges auf die familiären Verhältnisse, auf die Beziehung eines Sohnes zu seinem gewalttätigen Vater. Alois Hotschnigs Roman „Der Silberfuchs meiner Mutter“ eröffnet hier eine weitere Perspektive auf die Schrecken des Krieges und entwickelt diese entlang der Beziehung einer Mutter zu ihrem gewollt/ungewollten Sohn.

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Ayn Rand: “Atlas Shrugged”

Ayn Rand: "Atlas Shrugged"

Kompromisslos peinlich, irritierend interessant und doch am Ende blass.

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Wer zu Ayn Rand greift, weiß, worum es geht. Es geht um die Faulen, die auf den Taschen der Produktiven liegen. Es geht um Objektivität, das Leistungsprinzip, um Egoismus und die Abscheu vor jedwedem Mitleid. „Atlas Shrugged“ oder, in der neuen Übersetzung, „Der freie Mensch“ ist aber ein Roman und kein Traktat, kein Pamphlet, kein Parteibuch, sondern ein Werk der Fiktion, geschrieben zur Erbauung und zur Unterhaltung. Es beschreibt eine fiktionale Welt, ohne inhaltlichen Bezug zur Realität. Lediglich Aristoteles kommt vor, die USA als Land, aber ohne Geschichte, aber dem Untergang geweiht:

„Doch als der Ort, der einst die Quelle dieser Flut gewesen war – New York City –, in der Ferne vor ihnen auftauchte, streckte er noch immer seine Lichter zum Himmel, trotzte noch immer der ewigen Finsternis, fast so, als würde er in einer letzten Anstrengung, in einem letzten Hilferuf, nun seine Arme nach dem Flugzeug ausstrecken, das seinen Himmel durchquerte. Unwillkürlich setzten sie sich auf, wie in ehrfürchtiger Aufmerksamkeit am Sterbebett dessen, was Größe gewesen war.“

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Yasmina Reza: „Serge”

Yasmina Reza: „Serge”

Seichtes über den Tod. Viel zu gefällig über eine immer kleiner werdende Welt.

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Wie ein Treppenwitz der Literatur erscheint dreizehn Tage nach der Veröffentlichung von Michel Houellebecqs „Vernichten“ der Roman „Serge“ von Yasmina Reza als indirekte, aber in jedem Falle eng bezogene, wahrscheinlich aber unfreiwillige Antwort auf Houellebecqs semi-aktuelle Gegenwartsanalyse. Beide Romane behandeln ein in sich konfligiertes Familiengeflecht im heutigen Frankreich: Generationen, die sich nicht verstehen, die sich aber um Verständnis bemühen, denen aber die Sprache, die Kommunikationsmodi abhandengekommen sind. Protagonist in beiden Romanen ist ein Mann jenseits der Vierzig. In „Serge“ heißt er Jean, besucht ein Vernichtungslager, und ist von Beruf Experte für Materialleitfähigkeit.

„Ich [Jean] sehe durchaus, dass Serge und Nana schon lange zum gereiften Teil der Menschheit gehören, wie ich es auch sollte, aber diese Wahrnehmung bleibt an der Oberfläche. Tief drinnen bin ich immer noch das mittlere Kind […]“

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