Anne Weber: „Annette, ein Heldinnenepos“

Annette, ein Heldinnenepos

Ein sprachlich gelungener Etikettenschwindel: Das Heldinnenepos als Flussfahrt mit Huhn aus dem Kuriositätenkabinett.

Anne Weber wählt in „Annette, ein Heldinnenepos“ eine ungewöhnliche Form. Statt eine klassische Biographie über eine promovierte Neurologin, Résistance-Kämpferin und Verfechterin für Frauen- und Menschenrechte zu schreiben, besingt sie das Leben von Anne Beaumanoir in rhythmisch-strukturierten Versen und Absätzen wie anno dazumal Homer Odysseus und Vergil Äneas, nur hier modern-gebrochen und ironisch-konterkariert:

Von ihrem freien Willen
dankt sie ab, jedenfalls so lange, bis sie irgendwann
selbst ein paar willenlose Bauern zu dirigieren hat.
Was ist es eigentlich? Was treibt sie an? Warum hat sie
Ihr eignes Leben, das einzige, das sie nun einmal hat,
von einem Tag zum andern aufgegeben, bevor es richtig
angefangen hat? Weiß sie es selbst? Weiß man es je,
warum man letztlich etwas macht?

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Charlotte Gneuß: „Gittersee“

Gittersee

Eine lebendige, freche Ich-Erzählerin, die zu ihrer konstruierten Erzählwelt nicht passt.

Der Debütroman Gittersee von Charlotte Gneuß fällt mit der Tür ins Haus, d.h. er beginnt mit seinem Ende und beschäftigt sich auf seinen darauffolgenden Seiten damit, wie es zu dem Motorradunfall gekommen, wer überhaupt ums Leben und wer der Rühle ist, der die Spuren im Wald beseitigt. Bei all dem Unklaren, eines ist klar. Karin liebt Paul, aber liebt Paul Karin?

Ich setzte mich hinter eine Buche, die nur wenige Meter hinter dem Punkt stand, an dem Paul sein Moped gepackt hatte. Du darfst auch nie vergessen, dass du meine kleine Komma bist und dass ich dich über alles liebe, versprich mir das, hatte Paul damals geflüstert.

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Thomas Hettche: „Sinkende Sterne“

Sinkende sterne

Unausgewogener Mischmasch aus Kulturessay, Polemik, Fantastik und Bauernromantik.

Thomas Hettches Roman „Sinkende Sterne” spielt in der Schweiz, dient als Sprachrohr eines mittelalten Junggesellen, eines Hagestolz, der in das Haus seiner Eltern, ins Wallis fährt und dort zwischen den Erinnerungen an die guten alten und schlechten neuen Zeiten herumschwankt, während ihn Krankheit und Enteignung drohen und plagen:

Spinnen hatten ihre Netze in den Türsturz gewebt, zusammengebackener goldgelber Flor aus Lärchennadeln im windstillen Schatten der Schwelle. Ich schloss die Augen. Im Wagen, wusste ich, tickte noch der heiße Motor von der Fahrt herauf, doch er würde leiser werden und kalt und schließlich verstummen, und dann würde es sein, als hätte der Wagen immer schon hier gestanden, auf diesem Parkplatz am Rande des Lärchenwaldes hoch über dem Tal der Rhone.

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