Hervé Le Tellier: “Die Anomalie”

Hervé Le Tellier: "Die Anomalie"

Copy&Paste-Welt unterhaltsam, spannend, und einfallsreich. Eine Art Supra-Roman.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Was gibt es zu sagen, was noch nicht gesagt wurde, und was könnte geschrieben, was noch nicht geschrieben worden ist, und vielleicht spielt das alles keine so große Rolle. Hervé Le Tellier zeigt mit „Die Anomalie“, dass große Frage keine großen, vielleicht sogar gar keine Antworten bedürfen.

„Irgendjemand hat also irgendwo in der Galaxis eine Münze geworfen, und diese ist wahrhaftig in der Luft hängen geblieben.“

Der Roman ist eine Art Pastiche der Großliteratur-Verzweiflung. Wie es vom Präsidenten der Werkstatt für Potentielle Literatur zu erwarten ist (Oulipo: L‘Ouvroir de Littérature Potentielle), verführt er weniger mit Stil als mit Einfallsreichtum. Die nüchterne Sprache des Episodenromans ahmt Raymond Queneau und Georges Perec nach, aber ohne die Weitschweifigkeit (in „Das Leben Gebrauchsanweisung“) von diesem, noch der Melancholie („Zazie in der Metro“) von jenem nachzuahmen. Le Tellier hat seinen eigenen Zugang:

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Valerie Fritsch: “Winters Garten”

Valerie Fritsch: "Winters Garten"

Sprache und Liebe stärker als der Weltuntergang. Eine Perle in der Gegenwartsliteratur.

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Valerie Fritsch „Winters Garten“ lässt die Welt in einer unspezifischen Apokalypse untergehen. Die Apokalypse bleibt in der Literatur en vogue. Sie ist es seit dem Gilgamesch-Epos. Die Welt geht unter. Die Titanen zerstören, was sie erschaffen. Die Götter nehmen, was sie geben, und das Ende von Dantes „Commedia“ gipfelt im weißen, kleinen, sternklaren Punkt des nichtigen Nichts eines ewigen und erlösten, erleuchteten Jetzt. Auch Valerie Fritschs Roman handelt von der Apokalypse. Sie handelt von Werden und Vergehen eines Individuums, und vom Ende der Welt insgesamt. Die Erzählung beginnt mit einem Hirtengesang alter bukolischer Schule Vergilischer Provenienz. Anton Winter, der Protagonist, ist jung, angstlos, ein Kind, das beobachtet, erlebt, heranwächst und staunt:

„Der Großvater stand im warmen Wind und beschnitt die Sträucher und Weinreben am Haus […] Zur Blütezeit war die Luft satt an eigenartigen Gerüchen und Tausenden Insekten, die wie ein leises Murmeln aufstiegen. Liederlich und tropisch blühte es. Kadettenblau, kaiserblau, blassorange, zwetschgengelbt. Die Akeleien schwelgten. Der Eisenhut brannte.“

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Kazuo Ishiguro: “Klara und die Sonne”

Kazuo Ishiguro: "Klara und die Sonne"

Poetisch, empathisch, freundlich und bezaubernd: Leseglück pur!

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Gleich vorab: Eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe und wahrscheinlich gelesen haben werde.
Ohne Erwartung, und als kein übermäßig begeisterter Freund der drögen Sprache und des Stils japanischer Literatur und sehr skeptisch in Bezug auf die Bearbeitung künstlicher Intelligenz und Kybernetik von Fachfremden (siehe die letzten Bücher von Autoren wie Daniel Kehlmann, er und sein Algorithmus, wobei mehr „er“ als Algorithmus in Vordergrund steht) begann ich Kazuo Ishiguro „Klara und die Sonne“ zu lesen. Schon von Anfang an wird klar, dass das Buch etwas Besonderes ist.

„Das [das Energie spendende Sonnenlicht] war der eine Grund, weshalb wir alle so viel über den Platz im Schaufenster nachdachten. Managerin hatte uns versprochen, dass jeder von uns an die Reihe kommen werde, und jeder sehnte diesen Moment herbei. Zum Teil hatte es auch mit dem zu tun, was Managerin die »besondere Ehre« nannte, den Laden nach außen zu repräsentieren. […] In Wahrheit ging es aber um etwas anderes, nämlich um die Sonne und ihre Nahrung, und das war uns allen stillschweigend klar.“

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Daniela Krien: “Der Brand”

Daniela Krien: "Der Brand"

Desillusion in A-Dur. Trost- und sexlos in der Uckermark.

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Brandaktuell ist das Buch „Der Brand“ von Daniela Krien auf jeden Fall. Die Pandemie ist Thema. Es gibt Gesichtsmasken im Gartencenter, und Universitätsseminare werden Online abgehalten. Es gibt depressiv Verstimmte Corona-Geschädigte, aber vor allem gibt es ein Ehepaar, ein Mann, Peter, eine Frau, Rahel, die mühselig die Suppe auslöffeln, die sie sich gemeinsam eingebrockt haben. Das Basale ist Thema des Buches.

„Brot ist noch reichlich da. Sie [Rahel] deckt den Tisch draußen, spannt den Sonnenschirm auf, wässert den tönernen Weinkühler, bis er sich dunkel färbt, und wählt aus ihren mitgebrachten Weinen einen Weißburgunder. Im Kühlschrank findet sie noch zwei Lammknacker, die sie mit einem Seufzer beide Peter überlässt. Seit einiger Zeit isst sie weniger, um ihre Figur zu halten.“

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Heinz Strunk: “Es war immer so schön mit dir”

Heinz Strunk: "Es war immer so schön mit dir"

Geschrieben mit Ekel, Wut, Abscheu und Verdruss im Bauch.

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„Es ist immer so schön mit dir“ von Heinz Strunk ist ein typischer Liebesroman. Es geht um einen vierzigjährigen Tontechniker, der tief in der Midlife Krise steckt, zermürbt vom ausgebliebenen Erfolg, ernüchtert von der eigenen Unsportlichkeit, tief getroffen von der ausbleibenden Anerkennung seiner Mitwelt flüchtet sich der Protagonist in Sexgelüsten, in eine junge Freundin, trennt sich von seiner Lebensgefährtin und hofft noch mal auf das ganz, ganz große Glück.

„Ein aufrecht stehender Sack voller Eingeweide. Qualliges, lilienweißes Fleisch. Was ist lappiger, die Haut oder das Fleisch? Aber das Beste kommt wie immer zum Schluss: der SACK. Ob sich so ein trauriger Sack noch liften ließe? Doppelte Hodenstraffung mit Schwanzbegradigung und Schwellkörpererweiterung. Was er da sieht, hat nun gar keinen Marktwert mehr. Kann er sich gleich morgen mit den anderen Ausgeleierten und Verwelkten zusammentun.
«Geil, geiler Typ, echt geiler Typ», murmelt er vor sich hin.
«Einfach nur noch geil.»“

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