Byung-Chul Han: „Die Krise der Narration“

Die Krise der Narration

Kulturkritik, sehr kurz und wirklich knapp, auf 100 Seiten leicht gemacht

Ausführlicher besprochen und auf seine Argumentationslogik überprüft auf kommunikativeslesen.com

Von einem knapp 100 Seiten langen Büchlein mehr als ein paar Assoziationen zu erwarten, scheint vermessen. Byung-Chul Hans „Die Krise der Narration“ will nicht viel. Es hebt lediglich den warnenden Zeigefinger. Zu viel Lärm um Nichts, sagt es, zu viel Information, zu viele Likes und Posts, zu viel Storyselling statt Storytelling:

„Das Storytelling als Storyselling bringt keine Erzählgemeinschaft, sondern eine Konsumgesellschaft hervor. Narrative werden produziert und konsumiert wie Waren. Konsumenten bilden keine Gemeinschaft, kein Wir.“

„Byung-Chul Han: „Die Krise der Narration““ weiterlesen

Sebastian Hotz: „Mindset“

Mindset

Die Vorbereitung auf ein Lehrstück, das noch nach seinem Gegenstand sucht.

Konzeptromane entstehen am Reißbrett. Eine zündende, eine wie auch immer geartete kommunikative Idee treibt sie. Auf diese eine einzige Idee kommt es an, und alles andere wird ihr untergeordnet. Sebastian Hotz hat einen solchen Roman geschrieben. Er ist mit dem Titel „Mindset“ auf den Markt gekommen und hat sehr viel gemein mit Constantin Schreibers „Die Kandidatin“ oder Maxim Billers „Der falsche Gruß“. Ein gewisses Sendungsbewusstsein nimmt in ihnen die Sprache an die Kandare:

„Als sich schließlich Mirkos nackte Füße auf den grauen Teppich senken und sich die dort befindende Mischung aus abgestorbenen Hautzellen, Flusen, Haaren und undefinierbarem Staub auf ihre Sohlen heftet, wird aus der düsteren Vorahnung eine Gewissheit: Der Beginn eines neuen Tages ist auch heute unvermeidbar.“

„Sebastian Hotz: „Mindset““ weiterlesen

Brigitte Reimann: „Franziska Linkerhand“

Franziska Linkerhand

Liebe in Zeiten der Widersprüche … eine literarische Durchdringung

Die Liste der deutschsprachigen Nachkriegsromane, die sich eine epische Breite erlauben, sich nicht in Miniaturen erschöpfen, ist nicht lang. Bestimmt gehören Uwe Johnsons „Jahrestage“ und Elfriede Jelineks „Die Kinder der Toten“ dazu, auch Peter Weiss‘ „Die Ästhetik des Widerstandes“, Werner Bräunigs „Rummelplatz“ und Herta Müllers „Atemschaukel“. Im Falle des Versuches, eine solche Liste aufzustellen, müsste auch Brigitte Reimanns „Franziska Linkerhand“ aufgenommen werden. Reimann versucht in diesem außergewöhnlichen Roman das, was sich wenige getrauen, die Wirklichkeit poetisch zu durchbilden und die Zeit in Bilder einer Narration zu fassen:

Ich sah ihnen nach, ihren Schatten im verbrannten Gras, und mir war zumute wie manchmal am Bahndamm, nachts, wenn die Gleise und die federnde Erde einen Schnellzug melden … Gestöber von Funken, die vorüberfliegenden Fenster, Scherenschnitte von pendelnden Köpfen, ein Netz voll Apfelsinen, blaues Licht in einem Abteil, in dem Fremde schlafend reisen, mitgerissen werden, auf ein Ziel hin, das ich nicht kenne, also beliebige benennen kann, Punkt Ypsilon, und beliebig verlegen, immer weiter nach vorn, in die Ferne …“

„Brigitte Reimann: „Franziska Linkerhand““ weiterlesen

Werner Bräunig: „Rummelplatz“

Epik gegen Stillstand.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2023/…

Romane wie Fernando Pessoas „Das Buch der Unruhe“ oder Franz Kafkas „Das Schloss“ oder das lyrische Werk Emily Dickinsons, von deren 1775 Gedichte nur 7 in Journalen veröffentlicht wurden, geben einen kleinen Vorgeschmack auf die vielen sonderbaren, bemerkenswerten Texte, die vielleicht nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt, nie ihr Publikum gefunden haben. Werner Bräunigs „Rummelplatz“ hätte beinahe dazu gehört. Er wurde erst 31 Jahre nach Bräunigs Tod verlegt und hat doch nichts von seiner Intensität verloren:

„Und sahen nun das Tal unten, mit den Schächten am Hang, den roten Lichtern am Schornstein der Papierfabrik und den weißen an den Halden, Frühjahr war, wieder ein Frühjahr, da wurde das Gebirge freundlich. Oben der Wind war behutsam und führte etwas Bitteres mit von den Rinden der Bäume, und das Dumpfe war Vorjahrslaub und Erde, war Fäulnis und Trächtigkeit, und war noch anderes, das von weit her kam, das man spüren mußte oder schmecken vielleicht, und wußte keiner, was es war.“

„Werner Bräunig: „Rummelplatz““ weiterlesen

Martin Suter: „Melody“

Melody

So notwendig wie der Fernet Branca vor dem Schlafengehen.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2023/…

Wem Michel Houellebecq in “Vernichten” und Heinz Strunk „Ein Sommer in Niendorf“ zu verzweifelt, wem Martin Walser in „Das Traumbuch“ zu nachgiebig, versöhnlich, Emmanuel Carrère in „Yoga“ zu wehleidig und Robert Menasse in „Die Erweiterung“ zu verkopft ist, der greift schnell zu Ferdinand von Schirach „Nachmittage“ oder zu Martin Suters „Melody“. Mit diesen und anderen Romanen dieser Art bleiben sie unter sich: Junggesellen, abgeklärt und über jeden Zweifel erhaben, die sich von der Welt nicht mehr kirre machen lassen wollen::

„Lächelnd dachte Dr. Stotz darüber nach. »Du hast recht, wir sind auf dem Grundsätzlichen aufgelaufen: Was war wichtig und was nicht? – Ehrlich gesagt: Eigentlich war nichts wichtig.«
Er schwieg und fügte ernst hinzu: »Außer Melody. Außer ihr.«
Behutsam sagte Tom: »Also eigentlich alles in den Schredder.«
Dr. Stotz nickte langsam. »Alles. – Nur sie nicht.«“

„Martin Suter: „Melody““ weiterlesen

Judith Hermann: „Wir hätten uns alles gesagt“

Wir hätten uns alles gesagt

… aber gesagt und erzählt wurde letztlich vielleicht nicht einmal Nichts.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2023/…

In ihrem neuesten Buch fasst Judith Hermann ihre Frankfurter Poetikvorlesung zusammen, die sie im Jahr 2022 gehalten hat. Der Titel lautet „Wir hätten uns alles gesagt“ und nimmt Bezug auf eine Stelle in ihrem Buch, wo die Ich-Erzählerin und ein gewisser Jon beinahe in einem Schlossmuseum eingeschlossen worden wären. Im Nachgang schreibt sie ihm:

„Ich schrieb, ich wäre ausgesprochen gerne ein ganzes Wochenende über mit ihm in einem Provinzschloss eingesperrt gewesen, ich schrieb, wie bedauerlich, wir hätten uns alles gesagt. Jon kommt oft darauf zurück. Er wiederholt das – wir hätten uns alles gesagt, er will von mir wissen, was das gewesen wäre: Alles. Das ist eine lustige Frage. Es ist unmöglich, ihm zu sagen, was Alles gewesen wäre, uns ist beiden klar, dass es zu dieser Offenbarung nicht mehr kommen wird.“

„Judith Hermann: „Wir hätten uns alles gesagt““ weiterlesen

Julia Schoch: „Das Liebespaar des Jahrhundert“

Das Liebespaar des Jahrhunderts

Einübung in Bescheidenheit, sowohl literarisch wie psychologisch.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2023/…

Romane in direkter Anrede erfreuen sich in letzter Zeit zunehmender Beliebtheit. Das Geschriebene steht direkt für das Gesprochene ein und verwandelt den Roman, vormals Reflexionsmedium, in  einen Gesprächsersatz. Als neueste Beispiele dienen Virginie Despentes‘ „Liebes Arschloch oder Juli Zehs und Simon Urbachs „Zwischen Welten. Die Du-Form, die Julia Schoch in ihrem neuesten Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ gewählt hat, adressiert nun das je einzeln lesende Publikum direkt. Es wohnt nicht nur einem Gespräch zweier Streitender und Sich-Liebender bei, es darf sich einbezogen und angesprochen fühlen. Die Du-Form erhöht auf diese Weise den Authentizitätsgrad des autofiktionalen Theaters, die Autorin spricht vertraulich von Du zu Du:

„Ich bedaure, dass es nicht mehr Bilder von uns aus jener Zeit gibt. Fotos von uns als Liebespaar. Als ich es das erste Mal bedauerte, als es mir zum ersten Mal bewusst wurde, war es ein klarer, kalter Wintermorgen, viele Jahre später. Du hattest mir mit verschlossener Miene mitgeteilt, du würdest für ein paar Tage verreisen. Dann hast du die schwarze Ledertasche genommen und die Wohnung verlassen. (Wie man sieht, hattest auch du Lust gehabt zu gehen. Ich vermute es, ganz sicher war es so. Aber dies hier ist meine Erinnerung.)“

„Julia Schoch: „Das Liebespaar des Jahrhundert““ weiterlesen

Esther Kinsky: „Rombo“

Rombo

Dem Schrecken eine Stimme geben.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2023/…

Esther Kinskys neuester Roman “Rombo“, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, beschäftigt sich mit den Erinnerungen an ein Erdbeben in Norditalien, genauer in Friaul, und dessen Folgen in den Gemütern der Menschen und den Formen der Landschaft:

Was ist ein Erdbeben? Ein Erdbeben ist doch, als bewegte sich etwas Gewaltiges im Traum. Oder als wäre einem Riesen nicht wohl im Schlaf. Und das Erwachen ist eine neue Ordnung der Dinge in der Welt. Da wird der Mensch mit seinem Leben so klein wie der kleinste Stein im Fluss.

„Esther Kinsky: „Rombo““ weiterlesen