Byung-Chul Han: „Die Krise der Narration“

Die Krise der Narration

Kulturkritik, sehr kurz und wirklich knapp, auf 100 Seiten leicht gemacht

Ausführlicher besprochen und auf seine Argumentationslogik überprüft auf kommunikativeslesen.com

Von einem knapp 100 Seiten langen Büchlein mehr als ein paar Assoziationen zu erwarten, scheint vermessen. Byung-Chul Hans „Die Krise der Narration“ will nicht viel. Es hebt lediglich den warnenden Zeigefinger. Zu viel Lärm um Nichts, sagt es, zu viel Information, zu viele Likes und Posts, zu viel Storyselling statt Storytelling:

„Das Storytelling als Storyselling bringt keine Erzählgemeinschaft, sondern eine Konsumgesellschaft hervor. Narrative werden produziert und konsumiert wie Waren. Konsumenten bilden keine Gemeinschaft, kein Wir.“

Han beschwört die heilende Kraft einer allgemeinen, holistischen Großerzählung, in der Feiertage, Wochentage, Namen, ja, Rituale wieder Bedeutung erlangen, eine Gemeinschaft zusammenschweißen, eine Kultur hervorbringen. Dieser radikale Universalismus findet seinen ausgemachten Feind und Gegner im Neoliberalismus, wo der einzelne auf sich selbst zurückgeworfen wird, in seiner Vereinzelung darbt, ja einsam wird:

„Wo jeder dem Gottesdienst des Selbst huldigt und der Priester seiner selbst ist, wo jeder sich produziert, sich performt, bildet sich keine stabile Gemeinschaft.“

Um diese Kernthesen herauszuarbeiten, greift er auf eine bunten Strauß angesagter und auch totgesagter Theoretiker zurück, bspw. Walter Benjamins Begriff der Aura, Martin Heideggers Seinsvergessenheit und In-der-Welt-Sein, Niklas Luhmanns Informationsbegriff, Sigmund Freuds Traumdeutung und selbstredend Friedrich Nietzsches und Jean-Paul Sartres Nihilismus. So richtig rund gelingt der Rundumschlag nicht. „Die Krise der Narration“ gerät am Ende mehr zum Beispiel und Symptom seines Inhalts als zu dessen Kritik. Han hangelt sich von Zitat zu Zitat und peppt es etwas mit Kulturkritik auf:

„Sein und Information schließen sich aus. So wohnt der Informationsgesellschaft ein Seinsmangel, eine Seinsvergessenheit inne. Die Information ist additiv und kumulativ. Sie ist kein Sinnträger, während die Erzählung Sinn transportiert.“

Mit Byung-Chul Hans eigenen Worten ist „Die Krise der Narration“ reine Information, rein additiv, rein kumulativ. Teilweise reihen sich die Zitate aus bekannten Texten aneinander mit nur kurzen einleitenden Worten. Begriffe jagen Begriffe, nur was das eine mit dem anderen zu tun hat, bleibt stets unklar und auch, warum diese nicht jene Wahl getroffen wurde.

Hans Quintessenz lautet: Buch gut, Smartphone schlecht. Erzählung ist also das Gute. Information und Technik das Schlechte. Wie sich aber Erzählung, Sein, Sinn von Informationen und Daten unterscheiden, darüber verschwendet Han kein Wort. Die 100 Seiten lassen scheinbar nicht genug Platz. Es bleibt beim disparaten, zusammenhangslosen Name-Dropping und Copy&Pasting, ohne Stil, ohne Kohärenz und Systematik. Mit anderen Worten, Byung-Chul Han zeigt mit „Die Krise der Narration“ wie es geht: Kulturkritik, sehr kurz und wirklich knapp, auf 100 Seiten leicht gemacht.  

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