Tonio Schachinger: „Echtzeitalter“

Echtzeitalter

Stilistisch unterfordernd, inhaltlich unzusammenhängend, kompositorisch unentschieden erlaubt Toni Schachingers Roman „Echtzeitalter“ ein geradezu atemberaubendes Lesetempo, das jeden Sinn und Zusammenhang mit Leichtigkeit abschüttelt.

Zur Schule zu gehen, heißt, mit Themen, Probleme konfrontiert zu werden, die überhaupt nicht im Interessenhorizont existieren. Die Klasse sitzt da und lauscht über Robert Musil, Anna Seghers, über Robert Walser und Adalbert Stifter. Sie muss André Gides „Die Falschmünzer“ lesen, wobei sich einzelne in Gedanken mit Computerspielen, Rauchen, Sex und Partys und Drogen beschäftigen. Till Kokorda, der Protagonist aus Tonio Schachingers Roman „Echtzeitalter“ gehört dazu:

[…] Till lauscht mit gebührender Langeweile, wie der [Klassenlehrer] Dolinar einige seiner Klassiker wiederholt, über das Verhältnis von Kirtagen und Hintern und darüber, dass es nicht reicht, manchmal hier zu sein, dass es notwendig ist, hier und nur hier zu sein, nicht im Park, nicht in anderen Klassen, nicht bei irgendwelchen Ablenkungen, sondern: «Hier, hier, hier … Verstehst du, was ich sage, Kokorda?»
Till blickt auf.
«Das glaube ich nicht! Sonst würdest ned nach irgendan Schas schreiben über irgendein deppertes Videospiel.»

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Terézia Mora: „Muna“

Muna

An der Erzählperspektive gebrochener Masochismus, der die Handlung unter einer Glasglocke ersticken lässt.

Der Roman Muna von Terézia Mora besitzt als Rahmen eine absolute, selbstbezogene Form von Liebe. Muna, die Protagonistin, liebt Magnus bedingungslos, obwohl dieser ihr die meiste Zeit über, die der Roman von Leben Munas abdeckt, über 20 Jahre, die kalte Schulter zeigt. Sie will Kontakt. Sie sucht seine Nähe. Sie gibt alles für ihn auf. Hauptsache sie ist in seiner Nähe. Sie erträgt alles, denn er ist schön. Das ist alles, was sie am Anfang von ihm weiß, aber es ist genug, um ihn ein halbes Leben zu verfolgen:

Danke!, rief ich und stürmte an ihm vorbei, fiel durch die Tür ins Zimmer mit dem großen Tisch und den Regalen, wer im Raum war, schreckte hoch. So sah ich ihn zum ersten Mal, sich irritiert nach mir umdrehend: den schönsten Mann, den ich je im Leben sehen würde.

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Necati Öziri: „Vatermal“

Vatermal von Necati Öziri

Anti-Literatur als Literatur verpackt. Ein Schelmenroman auf Abwegen.

Schreiben dient oft zur Selbstfindung. Tagebuch schreiben, Briefe schreiben, Notizen, kleine Aphorismen und Zusammenfassungen zusammentragen, um dem alltäglichen Chaos, das Auf und Ab, die Gefühlswallungen, Assoziationen einzudämmen, die möglicherweise durchs Bewusstsein branden, und durch Necati Öziris Ich-Erzähler Arda geht eine ganze Menge. Es brennt. Es flammt. Es rumort, kracht und donnert:

„»Was soll ich schreiben?«
»Spielt keine Rolle, Hauptsache halbwegs fehlerfrei, dürfte ja kein Problem sein.«
[…] »Na, dann wollen wir mal sehen: ›Ich werde eure Töchter vögeln bis sie arabisch sprechen. Ich klaue euren Söhnen den Praktikumsplatz, mach sie drogenabhängig und verkaufe ihre Organe auf dem Basar. Ich breche nachts den Stern von euerm Benz und trage ihn an meiner Halbmondkette. Ich will kein Arzt oder Anwalt werden, ich werde Superstar oder arbeitslos.‹ «“

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Teresa Präauer: „Kochen im falschen Jahrhundert“

Kochen im falschen Jahrhundert von Teresa Präauer

Gesprächsabbruch unter fragwürdigen Bedingungen, literaturlos inszeniert.

Teresa Präauer, nominiert für den Ingeborg Bachmann-Preis 2015 und den Preis der Leipziger Buchmesse, Trägerin des Friedrich-Hölderlin-Preis und des aspekte-Literaturpreises für das beste deutschsprachige Prosadebüt 2012, steht nun 2023 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises mit „Kochen im falschen Jahrhundert“.  Im Zentrum des Romanes steht ein geselliger Abend, den eine Gastgeberin gibt und zu dessen Anlass sie eine Quiche Lorraine backt:

Alles gut. Wieso sagten die Menschen in letzter Zeit so gern alles gut? Wieso fragten sie: Alles gut? Wieso lautete die Reaktion auf Fragen, Wünsche und Aggression stets: Alles gut? Wo doch eigentlich sehr wenig einfach gut war, fast gar nichts. Was ist alles nicht gut, das wäre die Frage, die man stellen könnte. Oh, sorry, sagte der Schweizer dann. Äxgüsi. Es läge an seiner Unterzuckerung und am Kapitalismus.
Alles gut? Nur eine Quiche war gut. Knusprig, cremig, warm und kalorienreich. Der Geschmack von Schinken, Zwiebel, Porree und Ei. Eine Quiche, die zuerst noch gebacken werden musste.

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