Necati Öziri: „Vatermal“

Vatermal von Necati Öziri

Anti-Literatur als Literatur verpackt. Ein Schelmenroman auf Abwegen.

Schreiben dient oft zur Selbstfindung. Tagebuch schreiben, Briefe schreiben, Notizen, kleine Aphorismen und Zusammenfassungen zusammentragen, um dem alltäglichen Chaos, das Auf und Ab, die Gefühlswallungen, Assoziationen einzudämmen, die möglicherweise durchs Bewusstsein branden, und durch Necati Öziris Ich-Erzähler Arda geht eine ganze Menge. Es brennt. Es flammt. Es rumort, kracht und donnert:

„»Was soll ich schreiben?«
»Spielt keine Rolle, Hauptsache halbwegs fehlerfrei, dürfte ja kein Problem sein.«
[…] »Na, dann wollen wir mal sehen: ›Ich werde eure Töchter vögeln bis sie arabisch sprechen. Ich klaue euren Söhnen den Praktikumsplatz, mach sie drogenabhängig und verkaufe ihre Organe auf dem Basar. Ich breche nachts den Stern von euerm Benz und trage ihn an meiner Halbmondkette. Ich will kein Arzt oder Anwalt werden, ich werde Superstar oder arbeitslos.‹ «“

Der Clou der Szene: Arda sitzt im Ausländeramt und schreibt die obigen Zeile, um seine Deutschkenntnisse zu demonstrieren. Der Beamte schaut ihm zu, nickt und reicht ihm die Einbürgerungsurkunde. Vieles fällt in dieser Szene zusammen. Ardas Schreiben stiftet seine Identität. Er eignet sich sein eigenes Deutsch an. Er spricht. Er will Deutsch studieren. Er will Literat werden, zieht nach Berlin und schafft es irgendwie auch, bis er plötzlich zusammenbricht. Hepatitis lautet die Diagnose:

„Ich liege hier und warte und aus meinem Hals ragen lauter Schläuche, weshalb ich den Kopf kaum drehen kann, ohne einen stechenden Schmerz bis in die Wirbelsäule zu spüren. Mein rechter Arm ist übersät mit blauen Punkten, Einstichen, so vielen, wie Mama Narben an ihren Beinen hat. Es sind die Zeichen der täglichen Blutabnahme: Jeder Punkt bedeutet neue Blutwerte und damit die Prognose, wie viele Tage mir noch bleiben.“

Wiederum der Clou: Arda liegt im Sterben im Krankenhaus, Schläuche ragen ihm aus dem Kopf, und dennoch, trotz all der Schmerzen, der Lebensangst, der vollständigen Schwächung durch die Autoimmunerkrankung beginnt er einen langen Text an seinen Vater Metin zu schreiben, der abwesende Vater, der Vater, der einfach in einer Nacht- und Nebelaktion, seine Schwester Aylin und seine Mutter Ümram in Deutschland zurückgelassen hat. Plausibel wirkt das nicht. Soll es auch nicht, „Vatermal“ von Necati Öziri lässt sich als Schelmenroman lesen, als Performance, Übertreibung, Parodie, im Grunde als eine Art Anti-Literatur als Literatur verpackt:

„»Ich will was mit Literatur machen«, sage ich. Als ich es ausgesprochen habe, setzt ein Moment Stille ein und dann prusten Danny und Savaş gleichzeitig los.
»Keine Ahnung, irgendwie müssen wir mit diesen ganzen Storys doch Cash machen, oder?«, versuche ich mich zu retten, aber keine Chance. Savaş schlägt die Beine übertrieben eng übereinander und fährt sich mit dem Zeigefinger über die Nase, als würde er eine Brille hochschieben.
»Öhm ja, also mein Name ist Professor Arda und ich bin sehr inte-llelli-gent.«“

Alles nicht so ernst nehmen. Fünfe gerade sein. Einfach mal schreiben. Es missversteht die Haltung des Romans, ihn auseinanderzunehmen, ihm fehlerhafte Beschreibungen, ins Leere gehende Anschlüsse, Bildbrüche vorzuwerfen, die Komposition, die Zeitebenen zu untersuchen, die Plausibilität der Figuren zu hinterfragen, die Szenerien ob ihrer Konsistenz zu beleuchten, den Rhythmus, die Wortwahl, überhaupt nach der Erzählposition, Erzählzeit zu ahnden. Necati Öziris Arda haut auf die Kacke.

Wo Fatma Aydemir in „Dschinns“ die Multiperspektive einübt, wo Emine Sevgi Özdamar in „Ein von Schatten begrenzter Raum“ das innere Erdbeben der Emigration und Heimatlosigkeit auslotet, wo Dinçer Güçyeter in „Unser Deutschlandmärchen“ eine Ode an das Durchhaltevermögen seiner Mutter hält und sich dennoch von ihr und ihrer Härte liebevoll distanziert, da lässt es Arda einfach mal krachen, schlägt über die Strenge und geht voll ab, wahrscheinlich im Ruhrpott, aber wo genau spielt auch keine Rolle. Wer also Lust auf Poetry-Slam mit Gangsterallüren hat, plötzlich tote Mütter in Mayonnaise-Fässer sehen will und von Schwangerschaftsabbrüchen mit Faustschlägen lesen möchte, wird von „Vatermal“ nicht enttäuscht werden. Irgendwie ist alles und nichts drin, und so ist es leider irgendwie auch ziemlich beliebig, ohne Fokus, Perspektive und Empathie für seine Figuren geschrieben.

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