Michaela Maria Müller: „Zonen der Zeit“

Zonen der Zeit by Michaela Maria Müller

Aufhebung der Kampfzonen. Ein leiser Berlin-Roman voller friedlicher Lebenswegumwälzungen.

Großstadtromane beschreiben Sonderlinge, die sich ihre Nische suchen und finden. In „Zonen der Zeit“ von Michaela Maria Müller suchen Enni van der Bilt und Jan Schneider ein neues Leben, ziehen aus dem Münchener Umland nach Berlin und starten mitten im Leben nochmal von vorn. Er als U-Bahnhof-Zeitungskiosk-Betreiber, sie als Calltakerin bei der Berliner Feuerwehr, derweil zerbricht Jans Ehe mit Katja:

»Auf der Straße«, sagte ich [zu ihr auf die Frage wo ich war], und dass Enni heute Nacht bei mir blieb. Daraufhin legte Katja auf. Eine halbe Stunde später rief sie mich jedoch an, dann wieder und wieder in immer kürzeren Abständen, die ganze Nacht lang. Wenn ich ihren Anruf annahm, horchten wir in den Hörer und schwiegen, bis einer von uns wieder auflegte. Wir waren verbunden, aber wir hatten uns nichts mehr zu sagen.

„Zonen der Zeit“ betreibt keinen spannungsgeladenen Voyeurismus. Die Figuren verhalten sich ehrlich zueinander, zeigen sich verletzlich, gehen ruhig im Leben aufeinander zu und wieder aneinander vorbei. Müllers Figuren wollen nichts erzwingen, nichts vorheucheln. Sie wollen aber auch nicht kämpfen, denn das, wofür es sich zu kämpfen lohnte, dafür lässt sich eben nicht kämpfen: Aufmerksamkeit, Wohlwollen, Verständnis und Zärtlichkeit.

»Flüsse wissen nichts voneinander, bis sie sich begegnen. Und dann gehören sie zusammen,« sagte [Jan].

Aus jeweils der Ich-Perspektive von Enni und Jan erzählt, werden Zeiten des Umbruches beschrieben. Hierbei überlagen sich interessanterweise die Sicht- und Erzählweisen der Figuren. Sie erzählen dem Publikum oft ein und dieselbe Szene, nur aus ihrer jeweiligen Sicht. Die Wiederholungen und Wiederaufnahmen bestätigen und erweitern sich gegenseitig, wie zwei Flüsse, die sich verbinden und zu einem größeren werden. Hier ereignet sich stilistisch ein interessanter Effekt, nämlich der der Authentizitätssteigerung. Je länger das Buch andauert, desto mehr wächst das Vertrauen in die Figuren und in die Betrachtungsweise, mit der diese in die Welt schauen, denn es wird bald klar, diese Figuren lügen nicht. Sie geben sich ihrer Gegenwart hin, mit Herz und Seele. Die sehr einfache Sprache stört dann nicht. Sie trägt zum Authentizitätsgrad bei.

„Zonen der Zeit“ wartet mit Freundlichkeit, Bescheidenheit auf. Es liest sich sehr unaufgeregt, sehr nahe am Alltag und erhält, je länger es andauert, eine hohe, literarische Plausibilität. Die Dialogizität, die Michaela Maria Müller in ihrem Roman verwendet, grenzt sich gegen Sensationalismus und Konfrontation ab, wie ihn andere, Briefroman ähnliche Texte, in der Gegenwart betreiben, bspw. Juli Zeh und Simon Urban in „Zwischen Welten“ oder Virginie Despentes in „Liebes Arschloch“.

„Zonen der Zeit“ ist ein leises Buch, das seinen Schmerz versteckt, seine Harmlosigkeit aber auf der Stirn trägt und zwar nicht formal, aber inhaltlich wegen der Walter Benjamin- und Mauerfall-Bezüge an Cees Nootebooms „Allerseelen“ erinnert. Zwei Menschen auf den Weg zueinander, ohne die Garantie, dass sie sich finden werden. Vielleicht aber ein wenig zu kurz und sprachlich allzu einfach gefasst.

Inhalt: 3/5 Sterne (freies Großstadtleben)
Form: 1/5 Sterne (Alltagssprache)
Komposition: 4/5 Sterne (konvergierende Authentizitätssteigerung)
Leseerlebnis: 3/5 Sterne (ruhiges Treibenlassen)

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