Damon Galgut: „Das Versprechen“

Damon Galgut: „Das Versprechen“

Eine wüste Welt ergreifend und wortgewandt, mit höchsten Formansprüchen beschrieben.

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„Das Versprechen“ von Damon Galgut handelt von den Konflikten in Südafrika zwischen den 1980er Jahren und der Gegenwart. Im Zentrum des Romans steht eine weiße südafrikanische Farmerfamilie, die Swarts, die neben ihrer Farm noch einen Reptilienzoo besitzen. Am Anfang des Romans stirbt die Mutter, Rahel. Die drei Kinder, Amor, Astrid und Anton und der Vater Manie bleiben zurück, und auch das Dienstmädchen Salome. Der letzte Wunsch Rahels, den Amor als kleines Mädchen bezeugt, ist Salome das Haus zu schenken, in welchem das Dienstmädchen mit ihrem Sohn Lukas wohnt. Der Roman handelt nun von dem Aufschub, den Problemen, die Kleinkariertheiten der Familie mit diesem Versprechen umzugehen.

„Ja, sagt er [Manie] vage, wenn ich einmal ein Versprechen gegeben habe, halte ich es auch. Sicher? Wenn ich’s dir doch sage. Er zieht ein Taschentuch aus der Jackentasche und schnäuzt sich die Nase, dann schaut er hinein und nimmt das Resultat in Augenschein. Steckt es wieder ein. Worum geht es hier eigentlich?, sagt er. (Salomes Haus.) Aber auch Amor schwinden die Kräfte, und sie sinkt abermals an seine Brust. Sie sagt etwas, doch er versteht kein Wort.“

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Jonathan Franzen: “Crossroads”

Jonathan Franzen: "Crossroads"

Unentschieden, zäh, und konfliktscheu, oder von der Kunst, Probleme zu zerreden.

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Der Roman „Crossroads” von Jonathan Franzen ist ohne Frage opulent. Er passt sich nicht den Lesegewohnheiten der Neuzeit an. Weder im Twitter-Format noch im SMS-Stil schlängeln sich bandwurmartige Sätze über die Seiten, die einen das eine oder andere Mal schwindeln lassen. Schwierig zu lesen sind die Sätze jedoch nicht. Jonathan Franzen bleibt stilistisch dem Journalismus verpflichtet. Nur eben geht er weit über das Zeitungsartikelmaß hinaus. Fast 1000 Seiten füllt der Text über die Familie Hildebrandt in New Prospect in der Nähe von Chicago. Aber Franzen fängt lieber, belletristisch, ganz von vorne an:

„Beginnen wir stattdessen mit der Betrachtung einer Frage, die auf den ersten Blick trivial, unbeantwortbar oder sogar unsinnig erscheinen mag: Warum bin ich ich und nicht jemand anders? Blicken wir in die schwindelerregenden Abgründe dieser Frage …“

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Ariane Koch: “Die Aufdrängung”

Ariane Koch: "Die Aufdrängung"

Eine Parabel über die Entfremdung vom eigenen Fremden.

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Die Erzählung, oder der sehr kurze Debüt-Roman, „Die Aufdrängung“ von Ariane Koch behandelt das Gespenstische im Nahen, das Fremde im Bekannten, das Zu-Gast-Sein im eigenen Zuhause. Sie bekam für diesen Text, der sich schwer als Roman, aber noch weniger als Erzählung beschreiben lässt, den „aspekte“-Literaturpreis 2021 zugesprochen, der auf der Frankfurter Buchmesse verliehen wurde. Er arbeitet sich am Erwachsen-Werden, am Aufwachen, Sich-Loslösen ab. Er ist also ein coming-of-age-Roman, nur einer der absonderlichsten Sorte.

„Manchmal denke ich, ich sollte nicht mehr vom Weggehen sprechen, weil ich schon zu viel vom Weggehen gesprochen habe. Ich spreche jeden Tag vom Weggehen und werde nie müde davon. Ich frage mich, ob man nur irgendwo bleiben kann, indem man ständig vom Weggehen spricht. Wer nämlich nur vom Bleiben spricht, der ist doch innerlich schon längst weggegangen, oder?“

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Abdulrazak Gurnah: “Das verlorene Paradies”

Abdulrazak Gurnah: "Das verlorene Paradies"

Blass getünchte, unentschiedene Sehnsucht nach einem Paradies, das keines war.

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Mit John Miltons „Paradise Lost” hat Abdulrazak Gurnahs Roman wenig zu tun. Passagen lyrischer Naturbeschreibungen, Stürme, Entwurzlungen dahingestellt, liegt ein prosaischer Text über Menschenhandel, Schuld und Sühne, über Einsamkeit, Mutlosigkeit und Verzweiflung eines Tansanias unter teilweiser Deutscher Besatzung vor. Von geschliffenem Stil kann keine Rede sein. Bruchstücke emotionaler Entfremdung zersplittern das Sittengemälde einer zerrütteten Nation.

„Schwere Düfte aus uralter Zeit hingen in der Luft, und aus den auf der Straße vor dem Haus aufgestellten Messingtöpfen stiegen Weihrauchschwaden auf. Sie überlagerten die Dünste der abgedeckten Abflussrinnen in der Mitte der Straße. Die Prozession, die der Braut das Geleit gab, wurde von zwei Männern angeführt, die eine große grüne Laterne in Form eines zwiebelförmigen Palastes mit einer Unmenge Kuppeln trugen.“

In dem Roman mischen sich nebeneinander ornamentale, fast barocke Landschaftsbilder mit in kurzen Sätzen unempathisch verfassten zwischenmenschlichen Tragödien. Gurnah gelingt es zu keinem Zeitpunkt im ganzen Roman nicht, diese Ebenen miteinander zu verweben, seinen Protagonisten Yusuf in die Welt eintauchen zu lassen, ihn in der Welt mit der Welt zu verbinden und das Erleben der Welt begreiflich werden zu lassen. Erstaunlicherweise erscheinen Passagen deshalb gewollt, wie Kollagen, wie umredigierte, unzusammenhängende Absätze, die sich zu keinem Ganzen zusammenfügen. Wird der von Yusuf beobachtete qualvolle Tod einer Frau nüchtern und protokollsatzartig wie folgt beschrieben:

„Am Spätnachmittag kamen sie schließlich an den Fluss, und als sie auf dem unbewachsenen Uferstreifen standen, sahen sie, wie eine Frau, die ins Wasser gewatet war, von einem Krokodil angegriffen wurde. Die Dorfbewohner und die Reisenden hasteten zu der Stelle, wo der Kampf stattfand, konnten sie aber nicht retten.“

So bricht das nüchterne Berichten plötzlich prunkvoll aus, nur weil Yusuf eine Bahnhofsstation erreicht:

„Kleine Gehölze knorriger Dornbüsche sprenkelten die Ebene, die vereinzelte Aufwölbungen schwarzer Felsen mit dunklen Flecken durchzogen. Wogen von Hitze und Dunst stiegen von der glühenden Erde auf, drangen Yusuf in den Mund und ließen ihn nach Atem ringen. Bei einer Station, an der sie lange hielten, blühte ein vereinzelter Jakarandabaum. Malvenfarbene und purpurne Blütenblätter bedeckten den Boden wie ein schillernder Teppich.“

Das ist nicht nur seltsam. Das ist stilistisch unbefriedigend und mindert in einem unberechenbaren Hü-und-Hott stark das Leseerlebnis. Das Sittengemälde eines armen, von Gewalt beherrschten Landes wird unentschieden beschrieben und leider nur teilweise eindrucksvoll in Szene gesetzt. Der Beobachter bleibt freischwebend und unbeteiligt. Die auktoriale Erzählweise lässt an Empathie missen, und am Ende steht man vor verschlossenen Türen und bleibt ratlos wie die in dem Buch beschriebenen Ehefrauen und Töchter Tansanias hilflos zurück.

Jean-Marie Gustave Le Clézio in „Die Wüste“, Gustave Flaubert in „Salambo“, J.M. Coetzee in „Schande“ oder Elias Canetti „Die Stimmen von Marrakesch“ lassen vielmehr von den Zerrüttungen erahnen, mit denen die Menschen in Afrika konfrontiert sind. Mich hat „Das verlorene Paradies“ vom ehemaligen Literaturprofessor Abdulrazak Gurnah maßlos enttäuscht.

Marie NDiaye: “Die Rache ist mein”

Marie NDiaye: "Die Rache ist mein"

Poetische Stille sanfter Verzweiflung – eindrucksvoll und nachwirkend.

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Marie NDiaye hat 2009 als erste schwarze Autorin den Prix Goncourt für „Drei starke Frauen“ zugesprochen bekommen. Sie legt nun, 2021, mit „Die Rache ist mein“ einen neuen Roman vor. Es handelt sich um die Ereignisse rundum ein Kindsmord in Bordeaux. Eine Anwältin, Maitre Susane, wird von einem Mann, Gilles Principaux, beauftragt, seine Ehefrau Marlyne zu verteidigen, die des Mordes an ihren drei Kindern, Jason, John, und Julia, angeklagt ist. Der Mann schwört auf die Unschuld seiner Frau. Die Anwältin meint den Mann aus einer Kindheitsepisode zu kennen. Sie war zehn und er fünfzehn. Doch die Erinnerungen bleiben zunächst im Dunkeln.

„Ein paar Sekunden lang blieb sie [Maitre Susane] reglos vor der hohen, olivgrünen Toreinfahrt der Nummer 27 stehen, ihre gestiefelten Füße breit in das rutschige Pflaster gestemmt, fest gegürtet in ihrem weiten, grauen Wollmantel – grau wie auch ihre kurzen, dichten Haare, die früher sehr lang, schimmernd, ihr ganzer Stolz gewesen waren.“

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