Barbi Marković: „Minihorror“

Minihorror

Mikis und Minis Minihorror als Prüfstand für literarische Toleranz. Experimentell, bis weit übers Ziel hinaus.

Ein Teil der ästhetischen Kommunikation besteht seit je aus Provokation. Alte Lesegewohnheiten werden herausgefordert, neue Worte erfunden, Tabus gebrochen, Leseerwartungen enttäuscht. Hier beginnt das Spiel mit Sprache und Form und gerät schnell zum Selbstzweck wie in der Experimentellen Literatur im Allgemeinen oder in der Absoluten Prosa im Besonderen. Barbi Marković, Siegerin des Preises der Leipziger Buchmesse 2024, legt mit „Minihorror“ einen eigenartigen, eigenwilligen, fast bis zur Unlesbarkeit gepeitschten Text vor:

Mini schminkt sich, weil sie bald zur Party gehen will. Sie schaut nach, wie spät es ist, und dabei bemerkt sie einen verpassten Anruf von Kylie. Als sie zurückruft, geht Kylie nicht ran. Ein paar Sekunden später schaut sie wieder aufs Handy und sieht, dass Kylie angerufen hat. Mini ruft wieder zurück, und Kylie hebt nicht ab, aber gleich danach ruft Kylie an, und Mini sieht es und hebt ab.
»Endlich«, sagt Mini und lacht. »Ich habe meinen Ton nie an.«
»Ich weiß«, sagt Kylie, »niemand hat den Ton an.«

Dass „Minihorror“ als Satire und Provokation angelegt ist, wird sofort klar. Minnie und Mickey Maus, oder bei Barbi Marković Mini und Miki, werden als unsichere, hilflose, impulsgestörte Individuen eingeführt, die Ähnlichkeiten zu halbfertigen KI-Wesen besitzen und deshalb nur mit restringiertem Sprach- und Gedankencode überfordert durch die Welt tigern können. Die Sprache und Gedankenwelt reduziert sich auf aller einfachste Alltagssituationen, die von den beiden kaum beherrscht werden wie das Aufräumen oder E-Mail-Abschicken. Um die Verunsicherung zu komplettieren, unterminiert der Erzählstil von „Minihorror“ das Sprachgefühl auf verstörende, kondensierende Weise, um den Cartoon-Charakter seiner Hauptfiguren hervorzuheben:

Aber jetzt beginnt sich Mikis Bewusstsein auf dem Parkplatz der Raststation wieder zu regen. Sein Körper setzt sich Punkt für Punkt zusammen. Zuerst fühlt sich Miki leicht und gleich danach schwach und elendig wie jeder Mensch, der gerade an der Grenze zwischen Leben und Nichtleben war. Nach dieser Vision ist ihm noch weniger klar, was er denken soll.

Die KI-Wesen Mini und Miki laufen durch ein sinnentleere Welt und erleben voneinander völlig unabhängige Szenen, die sich nach und nach zu einer Art Gruselkabinett zusammenschließen. Die Mängelwesen stottern und radebrechen und wissen selbst nicht, ob sie tot oder lebendig sind. Als literarische Performanz gibt Marković dem eigenen Publikum eine saftige Ohrfeige nach der anderen:

»Keine Ahnung«, sagt Miki zu sich und zu euch.
Ja, zu euch, die er in diesem besonders empfindlichen Seelenzustand spüren kann, wie ihr auf die Moral der Geschichte wartet. Ihr saugt ihm seine ungeschützte Seele aus mit euren Erwartungen. Er möchte jetzt allein sein.

Als Kommentar zu einer fortschreitenden Idiokratisierung erhält „Minihorror“ tatsächlich Gruselmomente. Marković‘ Sprache scheint diesem Zerfall jedenfalls nicht Einhalt gebieten, sondern sogar Nachdruck verleihen zu wollen. Ähnlich zu Teresa Präauer in ihrem „Kochen im falschen Jahrhundert“ nimmt Barbi Marković ihr eigenes Publikum hops, ohne einen Sinnanspruch einzulösen. Da ist es zum Bertolt Brecht‘schen Verdikt aus „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ auch nicht mehr weit, dass der Luxus der westlichen Welt ohnehin nur aus „Hundsscheiße“ besteht. Nur wird in „Minihorror“ die sogar noch bei Brecht vorhandene Hoffnung einer auf gelungene Kommunikation drängende ästhetische Utopie gleich mit abgeschafft.

Inhalt: 1/5 Sterne (aneinandergereihte Alltagsszenen ohne Spannungsbogen)
Form: 1/5 Sterne  (Syntax und Wortschatz auf Minimalniveau)
Komposition: 1/5 Sterne (keine)
Leseerlebnis: 1/5 Sterne (intendiertes Entsetzen)

Ärgerlich: Rudimentäre Sprache erlaubt keinen Lesefluss.

Erfreulich: Das Wagnis, gegen die Sprache und Leseerwartung zu verstoßen, als ästhetisch-rebellierender, unkonformistischer Akt.

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