Tijan Sila: „Radio Sarajevo“

Radio Sarajevo

Unverbindliches aus dem Nähkästchen-Plaudern über Krieg, Flucht und Traumaverarbeitung. Mehr eine Skizze, ein Brainstorming, aber kein Werk gegen das Vergessen.

Gegen das Vergessen schreiben, so schließt Sila sein eigenes Buch, das von sich nicht behauptet ein Roman zu sein und auch, in der Tat, nicht im entferntesten einer ist:

„In Bosnien wird die Generation meiner Eltern die »entwurzelte« oder die »ausgerissene« genannt. Meine Generation aber hat keinen Spitznamen, wir sind die Vergessenen. Ich schrieb dieses Buch auch, um dem Vergessen etwas entgegenzusetzen.“

Die Frage, die sich nun stellt, ballt sich im „auch“ zusammen, warum noch? Die Szenen, die Sila aneinanderreiht, schneidet er, wie er selbst sagt, wie ein Dokumentarfilmregisseur zusammen. Das muss nicht uninteressant sein. Das kann sogar literarische Verbindlichkeit erzeugen, muss aber nicht:

„Sowohl als Schüler wie auch später als Lehrer (ich unterrichte seit fünfzehn Jahren an Berufsschulen) wurde ich immer wieder zur Schulleitung vorgeladen und mit Disziplinarverfahren bedroht, weil ich mich irgendwem gegenüber im Ton vergriffen hatte. Wer weiß schon, woran das liegt? Vermutlich am Krieg, wie irgendwie fast alles in meinem Leben.“

Radio Sarajevo“ genau gelesen, konzentriert, lässt nur einen einzigen Schluss auf den Ich-Erzähler zu, er weiß nicht, was er erzählen und warum er es erzählen will. Er sucht. Er forscht. Er gräbt in seinen Erinnerungen, findet aber nichts und behält meist nur Fragen, Unsicherheiten, Fragmente einer Spur zurück, die sich nicht wieder zusammensetzen lassen. Sein Text berichtet von einem zerstörten Gedächtnis, von einem Trauma, das so stark in die Sprache hineingefahren ist, dass es kohärente, in sich geschlossene Szenen abbricht, auflöst und ins Fragwürdige verwischt:

„Unser neues Klassenzimmer war jenes Schlittschuhgeschäft, in das Ermin eingebrochen war – erst vor einem Jahr, doch wie alles andere, das vor dem Krieg stattgefunden hatte, kam es mir vor wie ein Ereignis aus einem anderen Zeitalter. Mir ist bewusst, dass dieser Satz fast immer fällt, wenn Menschen ihre Erinnerungen an einen Krieg aufschreiben. Er fällt fast immer, weil er wahr ist.“

Sätze wie diese fahren ins Leere. Der Ich-Erzähler verdeckt seine Unfähigkeit, die Erinnerung lebendig werden zu lassen, in der Notwendigkeit von Phrasen, die fallen, weil sie wahr seien. Wahrheit jedoch als dynamisches Konstrukt einer narrativen Geste erreicht der Text nicht. Er bleibt leider platt, performativ, weil der Ich-Erzähler sich die Maske eines Pausenclowns aufsetzt. „Radio Sarajevo“ zeigt mit seinem Titel an, was der Text ist, eine Art Radiosendung, in der sich hier und da ein Moderator einschaltet, hier und da etwas erzählt, von sich, von der Welt, in der jedoch die Hauptsache eben die Musik bleibt, die von den Worten nur unterbrochen wird. Was in „Radio Sarajevo“ also fehlt? Die Musik:

Die Herzen meiner Freunde waren durch den Krieg zu verwildert, als dass zartere Samen in diesem Dickicht hätten keimen können.

Voller Klischees, eingeübter Phrasen, voller Fragmente und sich selbst kommentierender Gags, die stets nur „auf Bosnisch“ lustig seien oder zumindest sich reimten, erreicht der Text keine Intensität.

„»Pisse, Muschi, Kopfnuss – stinkt alles, stinkt alles, stinkt!« Auf Bosnisch reimt sich das.“

Wer sich dem Trauma literarisch explorativ nähern will, dem sei Tatjana Gromačas „Die göttlichen Kindchen“ ans Herz gelegt. Tijan Silas „Radio Sarajevo“ ist bloßes Gedudel in der Art von Necati Öziris „Vatermal“ und dem schelmisch-episodenhaften Fabulieren eines Ivo Andrić in „Die Brücke über die Drina“, die als Lose-Blatt-Sammlung weder sprachlich noch inhaltlich noch szenisch überzeugt.

Inhalt: 1/5 Sterne (Brainstorming ohne roten Faden)
Form: 2/5 Sterne  (gut lesbare Sprache, aber voller Phrasen und Klischees)
Komposition: 1/5 Sterne (keine)
Leseerlebnis: 2/5 Sterne (kurz und bündig, schmerzlos)

4 Gedanken zu „Tijan Sila: „Radio Sarajevo““

  1. Ich habe Tijan Sila zu lesen versucht und habe schon das Gefühl, dass er etwas zu sagen hat. Dennoch teile ich mit dir den Eindruck, dass das erlebte Trauma des Krieges die Sprache so hart werden lässt. Weniger Gedudel eher Granatsplitter die unvorhersehbar zerstören,so empfand ich es.
    Ich mag den Mensch der sich in Interviews zeigte und auch dieses sich Herausarbeiten aus dem Trauma. Aber für mich blieben die Bücher Tijan Silas verschlossen

    1. Ja, er arbeitet gegen eine harte sprachliche Wand – der Verdruss, die Verhärtung spricht aus den Zeilen, die nur sehr bemüht aufgelockert werden. Ich denke auch, dass er viel zu erzählen hat. Nur sind die sprachlichen Schleusen noch nicht geöffnet. Könnte noch passieren 🙂

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