Wisława Szymborska: „»Sie sollten dringend den Kugelschreiber wechseln«“

Szymborska

Feinzisilierte Rhetorik von literarischen Verrissen aus dem Ärmel geschüttelt, leider mit wenig Substanz.

Die Lyrikerin und Literaturnobelpreisträgerin von 1996 Wisława Szymborska verdiente ihr Geld auch mit feuilletonistischen Arbeiten und betrieb eine Kolumne namens Poczta Literacka („Literarische Post“) in der polnischen Wochenzeitschrift »Literarisches Leben«, aus der nun ausgewählte Antworten in Form von dem Band „»Sie sollten dringend den Kugelschreiber wechseln«“ vorliegen. Die Antworten richten sich an verzweifelte angehende Autoren und Autorinnen, die auf Publikation hoffend, ihre Entwürfe an die Literarische Post schickten mit, zumindest angesichts der vorliegende Auswahl, meist abschlägigem Ergebnis:

„Lieber Anselm aus Breslau, dem schönen, schade, dass wir das Poem nicht aufnehmen können, der Sinn ist edel und erhaben der Ton, das Ganze jedoch recht monoton.“

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Birgit Birnbacher: „Wovon wir leben“

Wovon wir leben

Unentschieden und doch eindringlich, eine Mutter-Tochter-Schmonzette.

Milva, eigentlich Maria Ilva Biolcati, war eine italienische Schlagersängerin, die über viele Jahrzehnte sehr erfolgreich und europaweit mit ihren Songs gewirkt hat. 1990 erschien von ihr das Album “Ein Kommen und Gehen” und auf diesem singt sie das Lied „Ich bin ganz ich“, das das zentrale Leitmotiv von Birgit Birnbachers neuestem Roman „Wovon wir leben“ angibt:

„Ich leb dir nach – du lebst mir vor
Wir leben auch getrennt d’accord
Wir passen in die gleichen Schuh
Was ich auch träume oder tu –
Ich bin ganz ich, ich bin ganz du“

Birnbacher und Milva sprechen von einer Mutter-Tochter-Beziehung, von der Liebe, den Verpflichtungen, den Träumen, die beide ineinandersetzen. Bei Birnbacher liest sich das aus der Sicht der Tochter wie folgt:

„Die Wellen schaukeln uns. Ich lehne den Kopf zurück, ich atme. Atme Mutter auf dem Boot ein, Mutter im Nachtzug, Mutter bei der Obsternte. Atme Erdbeeren, Pfirsische. Ihre neuen Beine, ihre perlenden Neuigkeiten, ihre nackten Füße in den zu großen Schlapfen. So, wie Vater gemeint hat, enden Frauenleben eben nicht. Weil Frauenleben so nicht enden, hat sie den roten Koffer genommen und sich in den Zug gesetzt.“

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Terézia Mora: „Das Ungeheuer“

Das Ungeheuer

… eine ästhetisch-literarische intensive Widerstandserklärung.

Ingeborg Bachmann Preisträgerin von 1999 und Georg-Büchner Preisträgerin von 2018 erzählt in ihrem Roman „Das Ungeheuer“, mit dem sie den Deutschen Buchpreis 2013 gewonnen hat, von zwei Reisen: Floras Reise durch die Melancholie und Hoffnungslosigkeit, die im Selbstmord endet; und Darius‘ Reise, durch Südosteuropa, die in einer Straßenschlacht in Athen endet. Darius kommt mit seinem Leben davon. Flora jedoch hat knapp zwei Jahre vor dem Ende von Darius Reise, ihrer gemeinsamen Ehe und Leben, ein Ende gesetzt. Sie erhängte sich in einem abgelegenen Wald. Darius erzählt:

„Meine Frau war 37 Jahre alt, als sie beschloss, nicht mehr wertbar zu sein. Ich bin 46 und — gegenwärtig, so sagt man es doch wohl korrekterweise: gegenwärtig — ebenfalls nicht wertbar. Außer, dass ich noch lebe.“

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J. M. Coetzee: „Der Pole“

Der Pole

Ruhig, besonnen, abgeklärt, doch voller Mystizismus

Ausführlicher und vielleicht begründeter auch auf kommunikativeslesen.com

John Maxwell Coetzees neuester Roman “Der Pole” umfasst lediglich knapp 150 Seiten. Vielleicht war dem Verlag der Begriff ‚Novelle‘ zu altbacken, vielleicht war der Text für eine Erzählung zu lang, für eine Novelle aber zu wenig auf ein spezielles, besonderes Ereignis geeicht. Dennoch: Die Komposition und Dichte, die Knappheit und Strenge Coetzees in „Der Pole“ deutet vielmehr auf eine Allegorie, ein Lehrstück als auf eine breitausfächernde Romanhandlung hin. Es wird die Affäre zwischen Beatriz, Hausfrau, 49 Jahre alt, mehr oder weniger glücklich verheiratet, und Witold, Pianist, 72 Jahre alt, seit über vierzig Jahren verwitwert, nacherzählt, und zwar aus Sicht Beatriz’, die im Grunde gar nichts für Witold zu empfinden meint:

Beim Durchstreifen der Welt auf der Suche nach seinem verlorenen Etwas, ist er zufällig auf sie, Beatriz, gestoßen und hat sie zu einem Fetisch gemacht. Sie bringen mir Frieden – was für ein Unsinn! Ich bin nicht die Antwort auf das Rätsel Ihres Lebens, Señor Witold – auf Ihr oder irgendjemandes Rätsel! Das hätte sie ihm antworten sollen. Ich bin, die ich bin!

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David Foster Wallace: „Unendlicher Spaß“

Unendlicher Spaß

Ein unheimlicher, monströser, durchweg gewollt prätentiöser, aber widerständiger Roman.

David Foster Wallace arbeitete an seinem Roman “Unendlicher Spaß” zehn Jahre lang, bis er in seiner endgültigen und um 250 Manuskriptseiten gekürzte Fassung 1996 erschien. Er gilt, u.a. vom Time Magazine ausgezeichnet, als einer der wichtigsten englischsprachigen Gegenwartsromane. Zentrales, fast ausschließliches Thema des Buches sind Drogen in allen Formen, Varianten und Verabreichungsweisen:

„Joelle wird sich hier Zuviel Spaß genehmigen. Mehr als alles andere war es am Anfang so viel Spaß.[…] Crack befreit und verdichtet, es komprimiert die ganze Erfahrung zur Implosion einer schrecklichen verheerenden Spitze der Kurve, ein inspirierter Orgasmus des Herzens, durch den sie sich wahrhaft attraktiv fühlt, geschützt von Grenzen, entschleiert und geliebt, beobachtet, allein, fähig und weiblich, erfüllt, gleichsam einen Augenblick lang von Gott gesehen.“

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