David Foster Wallace: „Unendlicher Spaß“

Unendlicher Spaß

Ein unheimlicher, monströser, durchweg gewollt prätentiöser, aber widerständiger Roman.

David Foster Wallace arbeitete an seinem Roman “Unendlicher Spaß” zehn Jahre lang, bis er in seiner endgültigen und um 250 Manuskriptseiten gekürzte Fassung 1996 erschien. Er gilt, u.a. vom Time Magazine ausgezeichnet, als einer der wichtigsten englischsprachigen Gegenwartsromane. Zentrales, fast ausschließliches Thema des Buches sind Drogen in allen Formen, Varianten und Verabreichungsweisen:

„Joelle wird sich hier Zuviel Spaß genehmigen. Mehr als alles andere war es am Anfang so viel Spaß.[…] Crack befreit und verdichtet, es komprimiert die ganze Erfahrung zur Implosion einer schrecklichen verheerenden Spitze der Kurve, ein inspirierter Orgasmus des Herzens, durch den sie sich wahrhaft attraktiv fühlt, geschützt von Grenzen, entschleiert und geliebt, beobachtet, allein, fähig und weiblich, erfüllt, gleichsam einen Augenblick lang von Gott gesehen.“

Zentral im Roman steht die Beschreibung und das Leben innerhalb einer Tennisakademie, die von Avril Incandenza, Mutter von drei Söhnen Orin, Mario, Hal geleitet wird, von denen nur Hal noch Tennis spielt. Avrils Ehemann und Vater der drei Söhne bringt sich um, nachdem er einen Film namens „Unendlicher Spaß“ mit der Freundin seines Sohnes Orin, Joelle, abgedreht und produziert hat, der als akusto-optische Form der Droge in der Lage ist, sein Publikum bis in den Hirntod hinein zu narkotisieren. Geheimdienste aus Kanada und den USA befinden sich auf der Suche nach dem Original:

„Diese unanschaubare Unterhaltungspatrone aus dem Untergrund, die anfangs auf erratische Weise an den scheinbar zufälligsten Orten auftauchte: ein Film, der, wie ihm bei Briefings zu verstehen gegeben wurde, gewisse »Eigenschaften« hat, sodass jeder, der ihn je gesehen hatte, für den Rest seines Lebens nur noch den einen Wunsch verspürte, ihn noch einmal zu sehen, und noch einmal und so weiter.“

So viel zum Plot. Er dampft sich auf die Versuche zusammen, clean zu werden, sich mit Drogen zu töten, und diese sogenannte Unterhaltungspatrone, eine elektrotechnologische Phantasie Foster Wallaces, sicherzustellen. Diese dünngestrickte Story spielt jedoch in einer groß angelegten Erste-Welt-Dystopie. Foster Wallace beschreibt nicht eine wie auch immer bekannte Welt mit wie auch immer bekannten Geräten und Drogen und Problemen. Er transponiert Bekanntes in eine nahe, spekulative, imaginierte mögliche Zukunft, in der Gift vor Vergiftung, Müll vor Vermüllung schützt:

»Quasi aber beispielsweise weiß dein Land, dass die ganze Annulartheorie hinter einem Kernfusionstyp, der Müll produziert, der Brennstoff für einen Prozess ist, dessen Müll Brennstoff für die Kernfusion ist: dass die ganze Theorie, die dieser Physik zugrunde liegt, aus der Medizin stammt?«
»Das bedeutet was? Eine Flasche Medizin?«
»Das Studium der Medizin, Ars. Deine Weltregion betrachtet die annulare Medizin heutzutage als selbstverständlich, aber die ganze Vorstellung, Krebs zu behandeln, indem man die Krebszellen selbst mit Krebs ansteckte, war noch vor wenigen Jahrzehnten Anathema.«

Soviel zu den Figuren, dem Plot und dem Setting.Literarisch, deskriptiv, stilistisch, sprachlich gesehen geschieht vielmehr, schließlich umfasst der Roman “Unendlicher Spaß” in der deutschen, von Ulrich Blumenbach angefertigten Übersetzung über 1400 engbedruckte Seiten und weist sogar einen beinahe zweihundert Seiten langen Fußnotenapparat auf. Foster Wallace nimmt nämlich sein Thema, Gift, um Gift zu vergiften, literaturästhetisch auf. Seine leeren, teilweise gestelzten, gewollten, ins Ausufernde, ohne innere Kohärenz und Konsistenz ausschweifenden Sätze beginnen ab einem bestimmten Punkt eine nahezu unheimliche Überzeugungskraft zu entfalten.

Hier schreibt ein Schriftsteller, ohne Poesie, ohne innere Balance mit überbordender szientifischer Sprache gegen eine innere Leere mit leeren Begriffen an, bis plötzlich diese Begriffe kollabieren und eine Stille hinterlassen, die tatsächlich ein literarisches Bild von Verzweiflung und Ausweglosigkeit erzeugen und als geheimes, den Text organisierendes Geheimnis dient. Wer den langen Atem auf sich nimmt, sich auf die Sprache einlässt, dem wird ein eigenartiger Zauber überkommen, ein negativer, aber ein literarischer, der sogar zum Wiederlesen einlädt, nicht aus Genuss, aber aus Neugier und Forschungsdrang, der Welt von Foster Wallace noch mehr Nuancen und Details abzutrotzen.

Ein unheimlicher, pessimistischer, ja monströser Roman, der auf seine eigene Weise jedoch Widerstandskraft entfacht.  

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