Luna Al-Mousli: „Um mich herum Geschichten“

Um mich herum Geschichten

Vom Bürgerkrieg und seine Folgen aus der Sicht unschuldiger Dinge inmitten von Zerstörung und Gewalt.

Kinder, Tiere, aber auch Gegenstände tragen keine Schuld an Verhältnissen, Krieg und Zerstörungen in Ländern. Aus ihrer Perspektive die Ereignisse eines Bürgerkrieges zu erzählen, intensiviert den Blick und lässt den Schrecken ungemindert, ohne Rationalisierung, ohne Parteinahme innerhalb des Konflikts, erscheinen. Luna Al-Mousli wählt in ihrem Kurzroman „Um mich herum Geschichten“ die Erzählperspektive aus Sicht fünf verschiedener Gegenstände: Eines Laptops, eines Musikinstrumentes, einer Doktorurkunde, eines Anzugs und eines Türschlüssels. Die Besitzer tauchen nur am Rande auf. Leidtragende, Hoffende, Duldende bleiben die Dinge:

„Jedes Mal hoffte ich [der Anzug], dass die Krawatte meinen Stoff streifen und er sich für mich entscheiden würde. Doch irgendwie schien der richtige Anlass für mich nicht zu kommen. Bald heirateten all seine Bekannten, Nichten und Neffen und ich begann zu glauben, dass er mich wohl für die Hochzeit eines seiner Kinder aufhob. Also wartete ich geduldig und hoffte, dass er seine Figur behielt und weder zu noch abnahm.“

Die Sprache aus Sicht der Gegenstände ist naiv, unschuldig. Sie kennen keine Gründe. Sie wissen von keinen Konflikte. Sie spüren nur Beachtung, Berührung, Achtsamkeit und Freundlichkeit ihnen gegenüber, ob sie im Zentrum, am Rand der Aufmerksamkeit stehen oder gar keine erfahren. Sie nehmen alles hin. Explosionen, Schreierei, Schusswechsel, Reisen. Sie stehen zu ihren Besitzern und möchten nicht als nützlich sein:

Die vielen Augen mit den erweiterten Pupillen wussten nicht wohin sie schauen sollten. Auf den Boden, wo ich [das Musikinstrument] entzwei lag, oder zu ihm, den der Schreck mit einem Mal nüchtern zauberte. Er schaute mich mit seinen großen kastanienbraunen Augen an. Die erste Träne landete auf seinem Brillenglas, die zweite auf meinem Bauch, doch ich spürte nichts. Hier lag seine und meine Vergangenheit und unsere mögliche Zukunft in Bruchstücken. Und jetzt in der Gegenwart wollte ich aufhören, ihn zu lieben.

Der Schrecken des Bürgerkrieges, seine verheerenden Folgen vermitteln die Kurzgeschichten Al-Mousli mit Nachdruck. Die Perspektive der Dinge verstärkt das Gefühl der Ausgeliefertheit, des Kontrollverlusts. Eine Welt sackt ab ins Chaos. Nichts bleibt mehr. Nichts kommt davon. Alle und alles sind betroffen. Eine Szenen spielen in Damaskus, andere in Wien, manche auf Reisen. Luna Al-Mouslis Sprache geht unter die Haut. Die Intensität wächst mit jedem freundlichen Gedanken der Dinge, mit jedem Versuch der Gegenstände, teilzunehmen, helfen, mit jeder Hoffnung und jedem Traum, den sie hegen und pflegen.

„Die Decke mit dem Golddekor war ein fester Bestandteil der Familientreffen. Für das Essen wurde sie sorgfältig ausgebreitet. Die Speisen wurden zwischen den Mustern platziert. Der Goldfaden, der sich durch diese Decke zog, gab den unbedeutendsten Gegenständen einen Glanz und eine Wichtigkeit. Die wenigen Male, in denen ich [der Schlüssel] auf dieser Tischdecke lag, wälzte ich mich auf den floralen Mustern bis der goldene Faden sich an einer meiner spitzen Kanten verfing und ich an Ort und Stelle erstarrte.“

Luna Al-Mouslis „Um mich herum Geschichten“ rührt, ohne sich je in Sentimentalität zu verlieren. Ihr Bericht besitzt Optimismus und Hoffnung. Wer Kazuo Ishiguros „Klara und die Sonne“ mag, wird auch Al-Mouslis Sprache und Stil mögen. Dort spricht ein künstliche Spielgefährtin voller Freundlichkeit über ihre Besitzerin, voller Loyalität und Empathie, hier die Gegenstände einer Großfamilie, die sich mehr oder weniger kennen und alle unter denselben katastrophalen Umständen leiden, die der Bürgerkrieg über sie gebracht hat, von eben welchem die Schicksale der Dinge berichten.

Kommentar verfassen