Didier Eribon: „Eine Arbeiterin“

Eine Arbeiterin by Didier Eribon

Ein Buch voller Fragezeichen, zwischen Theorie und Beichte schwebend, unentschlossen.

Bei Didier Eribons Buch “Eine Arbeiterin“, um es gleich vorabzusagen, handelt es sich um eine lose, undurchkomponierte Form eines politischen Essays, der sich darum bemüht, das Problem des Alterns ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen: Die Isolation und Ignorierung der Pflegebedürftigen, Schwachen und vom Leben Gezeichneten in Pflege- und Altersheimen wirft ein schlechtes Licht auf eine Gesellschaft, die von sich selbst behauptet, Gerechtigkeit zu verwirklichen und die Würde eines jeden einzelnen zu verteidigen. Eribon legt einen Finger in diese tatsächlich vorhandene Wunde:

Während sie allein in ihrem Bett im Pflegeheim lag, protestierte meine Mutter, brachte sie ihre Empörung zum Ausdruck. Doch ihr Schrei war nur an einen einzigen Menschen gerichtet: an mich (oder an vier Menschen, wenn ich meine Brüder mitzähle, die sie vermutlich ebenfalls regelmäßig anrief). Es geschah meist am frühen oder späten Abend, und ihre Wut hatte als Zielscheibe nur den Anrufbeantworter meines Telefons, den ich erst Stunden später abhörte.

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Michaela Maria Müller: „Zonen der Zeit“

Zonen der Zeit by Michaela Maria Müller

Aufhebung der Kampfzonen. Ein leiser Berlin-Roman voller friedlicher Lebenswegumwälzungen.

Großstadtromane beschreiben Sonderlinge, die sich ihre Nische suchen und finden. In „Zonen der Zeit“ von Michaela Maria Müller suchen Enni van der Bilt und Jan Schneider ein neues Leben, ziehen aus dem Münchener Umland nach Berlin und starten mitten im Leben nochmal von vorn. Er als U-Bahnhof-Zeitungskiosk-Betreiber, sie als Calltakerin bei der Berliner Feuerwehr, derweil zerbricht Jans Ehe mit Katja:

»Auf der Straße«, sagte ich [zu ihr auf die Frage wo ich war], und dass Enni heute Nacht bei mir blieb. Daraufhin legte Katja auf. Eine halbe Stunde später rief sie mich jedoch an, dann wieder und wieder in immer kürzeren Abständen, die ganze Nacht lang. Wenn ich ihren Anruf annahm, horchten wir in den Hörer und schwiegen, bis einer von uns wieder auflegte. Wir waren verbunden, aber wir hatten uns nichts mehr zu sagen.

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