Christoph Hein: “Guldenberg”

Christoph Hein: "Guldenberg"

Ein besorgter Bürger meldet sich blass zu Wort – bieder, fad und traurig.

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Christoph Hein legt mit „Guldenberg“ eines der blassesten und langweiligsten Zeitdokumente vor, die man sich nur vorstellen kann. Der Roman handelt von einem Städtchen, oder Dörfchen namens Guldenberg. In Guldenberg leben minderjährige Migranten, ein verzweifelter Pastor und seine jüdische und neugierige Haushälterin, ein Unternehmer, ein Bürgermeister, ein schwangeres vierzehnjähriges Mädchen, eine bauernschlaue Oma und viele andere, teils ausländerfeindliche, teils opportunistische, rachsüchtige, karriere-orientierte Kleinbürger und Kleinbürgerinnen. Das Buch beschreibt das Unbehagen der Dorfbewohner, das die Anwesenheit der Migranten in ihnen auslöst. Es behandelt Angst, Kleingeistigkeit, Rachsucht und Fremdenfeindlichkeit. Hein beschreibt die Geschehnisse mit erbarmungsloser und ideenloser Faktizität:

„Der neue Besitzer hatte kein Glück mit ihm [dem Kolonialwarenladen]. Sein Umsatz brach heftig ein, als hier der erste Supermarkt aufmachte, und als dann noch ein zweiter dazukam, musste er das Geschäft aufgeben. Er hatte zwar immer die bessere Ware, aber die Supermärkte verkaufen alles viel billiger. Zu ihm kam man nur noch, wenn man etwas vergessen hatte, ein Glas Senf oder eine einzelne Zitrone.“

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Iris Hanika: “Echos Kammern”

Echos Kammern

„Glück ist, wenn man ganz bei sich ist“ … sprachlicher Höhepunkt der Gegenwartsliteratur

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Iris Hanikas Roman handelt von zwei Frauen und zwei Städten, von Sophonisbe und Roxana, und von Berlin und New York. Es geht um Sinn, Enttäuschung, Liebe, Karriere, Beruf und Freunde, vor allem jedoch geht es um den Versuch, seinen Ort in der Welt zu finden, seinen Beobachtungsstandort zu kennzeichnen, ja, eine Sprache zu erwerben, in der die Dinge nicht sofort von jeder Bedeutung entleert sind.

Wie dieser Umriss einer Inhaltsgabe zeigt, eine besondere Geschichte wird nicht erzählt. „Echos Kammern“ ist mehr die Zeit im Bild der Sprache einer Generation, die noch nicht mit Smartphones und dem Internet aufgewachsen ist, eine Generation, die also hilflos unvorbereitet auf die sozialen Medien mit Konsternation und innerer Emigration reagiert, nicht wertend, einfach überrascht, überholt, fragwürdig geworden.

„Einmal in die Welt hinausgerufen, schallt er [der Plan] zurück, verstümmelt zwar, doch die Anmutung seiner Herrlichkeit bleibt, flirrend, schillernd, glitzernd; eine Ahnung davon, wie schön es hätte werden können, nicht nur das, wofür man den Plan gemacht hatte, sondern überhaupt alles – wie schön alles hätte sein können, die ganze Welt, das ganze Leben.“

Meiner Ansicht nach ein sehr lesenswertes Buch für alle. Die verdichtende Erzählhaltung, der Witz, der Schmerz, das Lyrische und Syntagmatische erzeugen eine eigene Einheit, einen modernen Hymnus zwischen Wiederkunft und Vergessen, zwischen Verlorenheit und Selbstbehauptung. Die Protagonistinnen geben Hoffnung. Die Liebe zu Berlin ist ungebrochen, ein Berlin-Roman, der der Utopie und der Geschichte der Stadt gerecht wird, im Sinne von Walter Benjamins „Berliner Kindheit um 1900“ und seinem Begriff vom Flaneur und dem in sich verwobenen Verheißungen des unvollendet gebliebenen Passagenwerks.

Wer dieses Buch mag, mag Clarice Lispectors „Die Sternstunde“ und Ingeborg Bachmanns „Malina“ und auch von Max Frisch „Der Mensch erscheint im Holozän“ oder eben, traditionell, Rainer Maria Rilkes „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, von dem ebenfalls implizit das wundervolle Buch von Hanika handelt. Komparativ ähnelt es zudem sehr Christa Wolf „Stadt der Engel“, nur eben handelt es von Bagels und Starbucks in Manhattan und nicht wie Wolfs Roman von Racoons in Los Angeles.

Sebastian Fitzek: “Der erste letzte Tag”

„Ja, super. Eine Salamipizza und alles ist vergessen.“ – Literarisches Aspirin.

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Das neue Buch von Sebastian Fitzek liest sich schnell, hat Illustrationen, und handelt von einem äußerst selbstkritischen Ich-Erzähler. Dieser Roman als Roadmovie angelegt, passend zur Vorabendunterhaltung, schnell und auf Effekt hin in Szene gesetzt handelt von einem Mann und einer Frau, die unterschiedlicher und gleicher nicht sein könnten. Beide veranstalten kompletten Unsinn, manipulieren sich gegenseitig und zeigen sich ihre Grenzen und Schwächen auf.

„»Okay, was sagt mir das jetzt?« »Dass wir hin und wieder einen Schuss vor den Bug brauchen, um unser System zu resetten. Stell dir vor, wir würden jetzt einen Unfall bauen …«“

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Bernardine Evaristo: “Mädchen, Frau etc.”

Eine unpathetische Hymne auf die Vielfalt, oder: die Schnelligkeit des Zeitgeistes ertragen lernen.

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Bernardine Evaristo bietet mit ihrem Roman „Mädchen, Frau etc.“ eine eigenartige und bemerkenswerte Kommunikation an. Ihr Roman handelt von zwölf Frauen, verwoben, fern wie nah, verwandt, über mehrere Ecken befreundet, bekannt mit einer Theatermacherin namens Amma, die über ihren rebellischen Schatten springt und ein Theaterstück namens „Die letzte Amazone von Dahomey“ im National Theatre in London inszeniert. Dieses Theaterstück verbindet all diese Schicksale auf vielfältige Weise, bringt jene zusammen, die sich sonst nie kennenlernen oder über den Weg rennen würden.

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Judith Hermann: “Daheim”

Friedliche Zeilen in entfremdeter Zeit – unbedingt lesenswert.

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Judith Hermanns Roman handelt von einem Fluchtstück, Neubeginn, von Meer, Dünen und den zarten Zeilen wortkarger Freunde, die einer heimatlosen Frau eine Ahnung von dem geben, was andere ein Zuhause nennen. Während sich die Tochter auf Weltreise befindet und ihre Koordinaten durchgibt, der Ex-Mann auf die Apokalypse wartet und sich in seinem Archiv verkriecht, erschließt sich die Protagonistin neue Welten direkt vor ihrer Tür, scheut nicht den Schmerz, noch die Enttäuschung.

“So weit weg am Rand des Kontinents und da, wo die Dinge sich verschärfen. Ihre Koordinaten entfernen sich, sie tritt in ein Gewässer ein, das ungefähr ist und auf den Landkarten nicht mehr vermerkt. Als wäre die Welt eine Kugel, die aufbricht, sich in ein Universum ergießt.”

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