Elke Engelhardt: „Sansibar oder andere gebrochene Versprechen“

Elke Engelhardt: "Sansibar"
Spuren einer Lyrik des sanften und zeitgewährenden Zwischenklanges.

Ausführlicher und vielleicht begründeter:  https://kommunikativeslesen.com/2022/…

Gedichtbände haben es heutzutage schwer. Sie drängen sich selten auf. Sie machen nicht viel Aufsehens und Aufhebens um sich. Sie flüstern im Stillen. Elke Engelhardts Buch „Sansibar oder andere gebrochene Versprechen“ stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar, in einer anderen schon. Selten wurde dem Wort so viel Freundlichkeit, Langsamkeit und Sichtbarkeit zugesprochen. Der Gedichtband handelt von Sprachvorsicht:

„Erst muss man die Worte erfinden,
dann kann man sich tragen lassen von der Sprache.
Eine schreibt wie die Duras
(das ist die Duras selbst)
ein anderer zwängt sich in ein zu enges Korsett.“

Elke Engelhardt aus: “Sansibar oder andere gebrochene Versprechen”
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Marie NDiaye: “Die Rache ist mein”

Marie NDiaye: "Die Rache ist mein"

Poetische Stille sanfter Verzweiflung – eindrucksvoll und nachwirkend.

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Marie NDiaye hat 2009 als erste schwarze Autorin den Prix Goncourt für „Drei starke Frauen“ zugesprochen bekommen. Sie legt nun, 2021, mit „Die Rache ist mein“ einen neuen Roman vor. Es handelt sich um die Ereignisse rundum ein Kindsmord in Bordeaux. Eine Anwältin, Maitre Susane, wird von einem Mann, Gilles Principaux, beauftragt, seine Ehefrau Marlyne zu verteidigen, die des Mordes an ihren drei Kindern, Jason, John, und Julia, angeklagt ist. Der Mann schwört auf die Unschuld seiner Frau. Die Anwältin meint den Mann aus einer Kindheitsepisode zu kennen. Sie war zehn und er fünfzehn. Doch die Erinnerungen bleiben zunächst im Dunkeln.

„Ein paar Sekunden lang blieb sie [Maitre Susane] reglos vor der hohen, olivgrünen Toreinfahrt der Nummer 27 stehen, ihre gestiefelten Füße breit in das rutschige Pflaster gestemmt, fest gegürtet in ihrem weiten, grauen Wollmantel – grau wie auch ihre kurzen, dichten Haare, die früher sehr lang, schimmernd, ihr ganzer Stolz gewesen waren.“

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Valerie Fritsch: “Winters Garten”

Valerie Fritsch: "Winters Garten"

Sprache und Liebe stärker als der Weltuntergang. Eine Perle in der Gegenwartsliteratur.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Valerie Fritsch „Winters Garten“ lässt die Welt in einer unspezifischen Apokalypse untergehen. Die Apokalypse bleibt in der Literatur en vogue. Sie ist es seit dem Gilgamesch-Epos. Die Welt geht unter. Die Titanen zerstören, was sie erschaffen. Die Götter nehmen, was sie geben, und das Ende von Dantes „Commedia“ gipfelt im weißen, kleinen, sternklaren Punkt des nichtigen Nichts eines ewigen und erlösten, erleuchteten Jetzt. Auch Valerie Fritschs Roman handelt von der Apokalypse. Sie handelt von Werden und Vergehen eines Individuums, und vom Ende der Welt insgesamt. Die Erzählung beginnt mit einem Hirtengesang alter bukolischer Schule Vergilischer Provenienz. Anton Winter, der Protagonist, ist jung, angstlos, ein Kind, das beobachtet, erlebt, heranwächst und staunt:

„Der Großvater stand im warmen Wind und beschnitt die Sträucher und Weinreben am Haus […] Zur Blütezeit war die Luft satt an eigenartigen Gerüchen und Tausenden Insekten, die wie ein leises Murmeln aufstiegen. Liederlich und tropisch blühte es. Kadettenblau, kaiserblau, blassorange, zwetschgengelbt. Die Akeleien schwelgten. Der Eisenhut brannte.“

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Friederike Mayröcker: “da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete”

Friederike Mayröcker: "da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete"

Zeitloses dem Tode abgerungen. Von erster bis zur letzten Zeile Sprachfreude.

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Friederike Mayröcker legt mit „da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete“ ein erstaunliches Zeugnis ab. In einer Art poetisches Tagebuch lässt sie ihr Leben Revue passieren, springt von der Gegenwart in die früheste Vergangenheit und zurück, reflektiert ihre Freude am Dichten, lässt ihre Kindheit, ihre Jugend, das Erwachsenleben zu Wort kommen und streut zärtliche Sehnsüchte und Wünsche ein.

„er habe heute Geburtstag er sei ein Schäfchen
und habe Geburtstag, deine Hand liebkost
meinen Fusz, nämlich wünsche ich mir dasz du
in deine Hand nimmst, weil die
Zehen meines Fuszes schmerzen, ich meine
du nimmst meinen Fusz in deine Hand und
läszt ihn da ruhen“

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Judith Hermann: “Daheim”

Friedliche Zeilen in entfremdeter Zeit – unbedingt lesenswert.

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Judith Hermanns Roman handelt von einem Fluchtstück, Neubeginn, von Meer, Dünen und den zarten Zeilen wortkarger Freunde, die einer heimatlosen Frau eine Ahnung von dem geben, was andere ein Zuhause nennen. Während sich die Tochter auf Weltreise befindet und ihre Koordinaten durchgibt, der Ex-Mann auf die Apokalypse wartet und sich in seinem Archiv verkriecht, erschließt sich die Protagonistin neue Welten direkt vor ihrer Tür, scheut nicht den Schmerz, noch die Enttäuschung.

“So weit weg am Rand des Kontinents und da, wo die Dinge sich verschärfen. Ihre Koordinaten entfernen sich, sie tritt in ein Gewässer ein, das ungefähr ist und auf den Landkarten nicht mehr vermerkt. Als wäre die Welt eine Kugel, die aufbricht, sich in ein Universum ergießt.”

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