Claire Keegan: „Das dritte Licht“

Das dritte Licht

Zurückhaltend langanhaltende Wirkung entfaltend. Ein Kindersommer.

Das dritte Licht“ hat Claire Keegan als Erzählung konzipiert. Sie ist kurz, sehr knapp, sehr zurückhaltend formuliert, und zwar aus der Sicht eines kleinen Mädchen, das für einen Sommer zu Zieheltern gebracht wird, um die schwangere Mutter und den spielsüchtigen Vater des Mädchens zu entlasten. Eine wirkliche Nähe zwischen dem kleinen Mädchen und ihren leiblichen Eltern gibt es nicht.

„»Viel Glück«, sagt [der Vater]. »Ich hoffe mal, das Mädchen macht euch keine Scherereien.« Dann wendet er sich mir zu. »Und du pass auf, dass du mir nich’ ins Feuer fällst.« Ich beobachte, wie er zurücksetzt, den Wagen in die Auffahrt lenkt und davonfährt. Ich höre die Räder über den Weiderost rattern, dann die Gangschaltung und das Motorgeräusch von der Straße her, auf der wir gekommen waren. Warum hat er sich aus dem Staub gemacht, ohne sich zu verabschieden, ohne auch nur zu erwähnen, dass er mich wieder abholen wird? Die sonderbar reife Brise, die über den Hof streicht, fühlt sich jetzt kühler an, und über der Scheune sind große weiße Wolken aufmarschiert.“

Claire Keegan, die mit „Kleine Dinge wie diese“ auf der Shortlist des Booker Prizes stand, schlägt leise, zarte Töne an, um die Unsicherheit des Mädchens und die Zerbrechlichkeit ihrer Welt zu beschreiben. Nirgendwo geht die Sprache ins Harte und Volle. Sie streift über die Ereignisse. Sie nagelt die Eindrücke nicht fest. Sie gibt keine Namen, keine Etiketten, wo diese nicht nötig sind. Es ergibt sich ein sehr langsamer, gleitender, harmloser Fluss voller Hoffnung, in welchem das Mädchen langsam gesundet und wieder Vertrauen zur Welt schöpft:

Anfangs hatte ich mit einigen der komplizierteren Wörter zu kämpfen, aber Kinsella deutete geduldig mit dem Fingernagel auf jedes Wort, bis ich es erriet oder doch fast erriet, und dann machte ich es allein genauso, bis ich nicht mehr zu raten brauchte und weiterlesen konnte. Es war wie Rad fahren lernen; ich spürte, wie mir Flügel wuchsen, die Freiheit, an Orte zu gelangen, wo ich zuvor nicht hinkonnte, und es war leicht.“

Mit kleinen Spielen, Wettrennen zum Briefkasten, mit kleinen Riten, das Marmeladenkochen und Wasserholen, mit Geschenken und Gesten, wie das Bettnässen unerwähnt zu lassen, schaffen die Kinsellas ein Zuhause für das kleine Mädchen. Die Sprache Keegans gleitet hier nie ins Kitschige, ins Oberflächliche. Das Geheimnis des Lebens bleibt unangetastet. Niemand versteht irgendwen, aber ein freundliches Miteinander ergibt sich von selbst, sobald das Glück des Schweigens und Sprechens im Gleichgewicht bleiben:

Ich höre, wie sie die Grashalme von den Wurzeln rupfen. Während wir weitergehen, streicht hin und wieder eine Brise flüsternd über den Eimerrand. Keine von uns beiden spricht, so wie Leute manchmal schweigen, wenn sie glücklich sind – aber kaum kommt mir dieser Gedanke, wird mir klar, dass auch das Gegenteil zutrifft.“

Diese sehr kurze Erzählung lässt Kindersommer wiederauferstehen. Die Welt des kleinen Mädchens setzt sich rebusartig zusammen, bleibt zerbrechlich, bedürftig und wird von der Angst zusammengehalten, sich selbst überlassen zu bleiben und wieder verlassen zu werden. Einen zusätzlichen Plot oder Spannungsbogen flicht Claire Keegan nicht ein. Die Autorin setzt ganz auf die kindlichen Assoziationen und Impressionen. In ihrer Diktion wohlkalkuliert, erreicht sie so einen aufs Äußerste verdichteten Stil, der in seiner Verwobenheit nachhallt, in seiner Vielschichtigkeit trotz der Kürze überzeugt und tatsächlich Lebensglück und Hoffnung transportiert, ohne gewollt und konstruiert zu erscheinen. Hier erinnert Keegans „Das dritte Licht“ stark an Alan Lightmans Miniaturen wie „Und immer wieder die Zeit“ und „Der Gute Benito“, die im ähnlich zurückhaltenden Ton formuliert sind und nichtsdestotrotz langanhaltende Wirkung entfalten.

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