Wisława Szymborska: „»Sie sollten dringend den Kugelschreiber wechseln«“

Szymborska

Feinzisilierte Rhetorik von literarischen Verrissen aus dem Ärmel geschüttelt, leider mit wenig Substanz.

Die Lyrikerin und Literaturnobelpreisträgerin von 1996 Wisława Szymborska verdiente ihr Geld auch mit feuilletonistischen Arbeiten und betrieb eine Kolumne namens Poczta Literacka („Literarische Post“) in der polnischen Wochenzeitschrift »Literarisches Leben«, aus der nun ausgewählte Antworten in Form von dem Band „»Sie sollten dringend den Kugelschreiber wechseln«“ vorliegen. Die Antworten richten sich an verzweifelte angehende Autoren und Autorinnen, die auf Publikation hoffend, ihre Entwürfe an die Literarische Post schickten mit, zumindest angesichts der vorliegende Auswahl, meist abschlägigem Ergebnis:

„Lieber Anselm aus Breslau, dem schönen, schade, dass wir das Poem nicht aufnehmen können, der Sinn ist edel und erhaben der Ton, das Ganze jedoch recht monoton.“

Der Auswahlband mit dem Untertitel „Anregungen für angehende Literaten“ umfasst lediglich 140 Seiten und liest sich schnell und unbekümmert, denn Szymborska nimmt kein Blatt vor den Mund und schwatzt drauf los. Leider fehlen Datum und Quelle und sonst irgendwelche Angaben, die die ausgewählten Passagen in Zusammenhang setzen könnten oder so etwas wie eine Entwicklung der Antworten nachzeichnen würden. So stehen sie nur als loser Verbund artistischer Verrisse

Die Korrespondenzpartner unseres »Briefkastens« neigen dazu, die Liebe als »Phänomen an sich« zu betrachten. Sie glauben, wenn sie den beiden Protagonisten Namen geben und sie in einem Zimmer mit Bett unterbringen, haben wir schon alles, um dieses populäre Gefühl zu verstehen. Genau durch diese Art von Erzählungen verläuft die Grenze unserer Geduld.“

Um „Anregungen für angehende Literaten“ handelt es sich im Grunde nicht. Die Kritiken können nicht ernstgemeint didaktisch wirken. Für Szymborska besitzt jemand Talent oder nicht, Genie oder nicht, Instinkt oder nicht. Schreiben in ihrem Sinne hat nichts von einer Fleißarbeit wie folgendes Zitat belegt:

Die Literatur besitzt keinerlei technische Geheimnisse, jedenfalls keine, die ein begabter Laie (denn einem Dummen hilft auch kein Diplom) nicht ergründen könnte. Sie ist die am wenigsten professionelle von allen künstlerischen Disziplinen. Man kann Schriftsteller werden, wenn man zwanzig oder wenn man siebzig ist. Als Autodidakt oder als Professor. Ohne das Abitur zu haben (wie Thomas Mann) oder als Doktor honoris causa vieler Universitäten (wie derselbe). Der Weg in den Parnass ist für alle offen. Natürlich nur scheinbar, denn im Grunde entscheiden die Gene.“

Diese Meinung ändert Szymborska im Laufe der Antworten nicht. Vor dem Hintergrund dieser sehr klaren Differenz, jemand ist Literat oder eben nicht, verwirft sie die meisten Versuche, mehr oder weniger freundlich, humoristisch, doch stets definitiv und vernichtend. Der Ton verliert sich nie ins Unfreundliche. Er bleibt gesittet, fröhlich, wie es sich unter Gleichgesinnten und Gleichinteressierten versteht. Etwas von der Aura der Grande Dame eines intellektuellen Salons des 18. Jahrhunderts schimmert durch die Zeilen hindurch, wie ihr Landsmann Adam Zagajewski bereits an anderer Stelle formulierte. Dass der Verlag dennoch das Buch mit dem Untertitel „Anregungen für angehende Literaten“ herausbringt, lässt sich kaum verstehen, denn sie schreibt:

Nein, Handbücher zum Verfassen von Romanen gibt es bei uns nicht. Angeblich erscheinen solche Werke in den USA, aber deren Wert wagen wir zu bezweifeln, aus dem einfachen Grund: Ein Autor, der ein zuverlässiges Rezept für literarischen Erfolg kennt, würde selbst davon Gebrauch machen und sich seinen Lebensunterhalt nicht mit dem Schreiben von Handbüchern verdienen. Richtig? Richtig.“

Der Band hat etwas Vernichtendes, etwas leicht Sadistisches und Nachtretendes. Hier spricht eine Literaturnobelpreisträgerin avant la lettre und belustigt sich über den Kitsch, den sie zur Begutachtung vorgelegt bekommt. Ein paar Einsichten lassen sich aus dem Geplauder herausziehen. Ein paar, und die Lektüre dauert auch nicht lang, wieso auch nicht, denn über Geschmack lässt sich gemeinhin trefflich streiten oder auch nicht.

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