Lukas Bärfuß: „Die Krume Brot“

Die Krume Brot

Schwester Leichtfuß ins offene Messer laufen lassen.

Lukas Bärfuß, der vielfach preisgekrönte, u.a. 2019 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnete Schriftsteller, beschäftigt sich in seinem neuesten Roman „Die Krume Brot“ wortgewandt mit dem Prekariat. Im Vordergrund steht die Geschichte Adelinas, die sich in den 1960er und 1970er Jahren in Zürich mehr schlecht als recht durchschlägt und vom Regen in die Traufe kommt:

„Ist das gerecht, Adelina? Die Welt ist ein Brandofen, eine Mühle, ein Häcksler, sie hackt die Menschen klein, tötet sie auf tausendundeine Art und Weise, das Universum kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, das Leben zu vernichten, durch Gift, durch Feuer, durch Aufprall, durch krankhafte Zellteilung, durch Entzündung, auch deines wird der Tod holen.“

Adelina kommt aus einfachen Verhältnissen, der Vater verschuldet, die Mutter verblendet, belasten ihren Lebensweg von Anfang mit einer schweren Hypothek. Bevor ihr Leben anfängt, sie eine Lehre abschließen kann, wird sie schwanger. Bevor sie eine richtige Arbeit findet, ist sie schon verschuldet, und bevor ihr sie Lesen und Schreiben lernt, muss sie sich bereits um die Erziehung ihrer Tochter Emma kümmern. In aneinandergereihten Appositionen, in Kaskaden von Gedanken, Beschreibungen, in einer Flut von Problemen inszeniert Bärfuß in „Die Krume Brot“ die radikale Überforderung seiner Protagonistin, mit dem Verhängnis und Unbill ihrer Existenz zurechtzukommen:

„Ihr Geist sucht verzweifelt einen Ausweg aus dieser Panik und heftet seine Aufmerksamkeit an die seltsamsten, nebensächlichsten Dinge: eine verlauste Taube, eine Zeitung, die über die Straße weht, eine Kühlerfigur. Zu jedem Bild formuliert der Geist einige Worte: arme Taube, schmutzige Stadt, schönes Auto, als wolle er sich ablenken, als wolle er sich zwingen, nicht in diesen Mahlgang zu rutschen, nicht zwischen die Steine zu geraten, die jede Vernunft und jede Hoffnung zerreiben und zermalmen, und der nächste Gedanke verschwindet im gleichen Wirbel, kippt in die Not, stürzt in Adelinas Magen, dessen Wände sich konvulsivisch bewegen.“

Gekonnt, verdichtet, fast wie einen hymnischer Singsang beschreibt Bärfuß den von Anfang an als unaufhaltsam bezeichneten Niedergang Adelinas. Personal erzählt, aus ihrer Sicht, schaltet sich ab und zu ein Erzähler aus dem Hintergrund ein und prophezeit ihr Unglück, das Pech, die kommenden Verletzungen, die drohenden, bereits hinter den Kulissen entschiedenen Niederschläge und Niederlagen, ganz wie ein Chor in antiken Tragödien. Inhalt und Stil geraten in Schieflage. Adelina, immerhin Erfindung des Erzählers, wird sprachlich einfallsreich von Schritt zu Schritt vorgeführt. Sie macht alles falsch. Sie ist nicht gegen die Komplexität dieser Welt gewappnet. Im Gegenteil, sie fällt auf jeden Trick, jede Fall herein:

„Sie fürchtete sich vor ihm und bewunderte Renato gleichzeitig für seine Klugheit, wie er ihren Gedanken zuvorkam und jeden Widerspruch, den sie innerlich formulierte, in Worte fasste und wieder einfing. Wie ein Pferd an einer Longe führte er sie, er ließ sie Kapriolen machen, bevor er die Leine straffte. Adelina merkte es, sie revoltierte, aber sie wehrte sich nicht lange und ließ sich zügeln.“

Erbarmungslos, im Eiltempo, rattert die Lebensgeschichte Adelinas an einem vorüber. Die Fahrt ins Verderben lässt sich nicht aufhalten. Überlegen legt der Autor ihr die Karten und lässt sie dezidiert an sich selbst und ihren Entscheidungen zugrunde gehen (u.a. Annahme des väterlichen Erbes, ein Kind in äußerster finanzieller Not, Unterzeichnung von Knebelverträgen). „Die Krume Brot“ beschreibt, wie Adelina langsam ins offene Messer rennt, bis sie nichts mehr zu verlieren hat.

Rahmen und Erzählposition wirken unempathisch, die Einbettung in den historischen Kontext aufgesetzt, die schlecht verpackte sozioökonomische Erklärung konstruiert, bis gewollt und altbacken, und steht im äußersten Widerspruch zu der bis ins letzte Detail beschriebene Eigenverantwortlichkeit Adelinas, die, so der Tenor von Lukas Bärfuß‘ Roman, einfach zu unvorsichtig, leicht- und gutgläubig, und kurzsichtig durchs Leben gegangen ist. Sprachlich versiert, dicht und abwechslungsreich bleibt ein fader Geschmack übrig, wenn nämlich Sprachfreude in Weltverzweiflung umgemünzt wird.

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