Teresa Präauer: „Kochen im falschen Jahrhundert“

Kochen im falschen Jahrhundert von Teresa Präauer

Gesprächsabbruch unter fragwürdigen Bedingungen, literaturlos inszeniert.

Teresa Präauer, nominiert für den Ingeborg Bachmann-Preis 2015 und den Preis der Leipziger Buchmesse, Trägerin des Friedrich-Hölderlin-Preis und des aspekte-Literaturpreises für das beste deutschsprachige Prosadebüt 2012, steht nun 2023 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises mit „Kochen im falschen Jahrhundert“.  Im Zentrum des Romanes steht ein geselliger Abend, den eine Gastgeberin gibt und zu dessen Anlass sie eine Quiche Lorraine backt:

Alles gut. Wieso sagten die Menschen in letzter Zeit so gern alles gut? Wieso fragten sie: Alles gut? Wieso lautete die Reaktion auf Fragen, Wünsche und Aggression stets: Alles gut? Wo doch eigentlich sehr wenig einfach gut war, fast gar nichts. Was ist alles nicht gut, das wäre die Frage, die man stellen könnte. Oh, sorry, sagte der Schweizer dann. Äxgüsi. Es läge an seiner Unterzuckerung und am Kapitalismus.
Alles gut? Nur eine Quiche war gut. Knusprig, cremig, warm und kalorienreich. Der Geschmack von Schinken, Zwiebel, Porree und Ei. Eine Quiche, die zuerst noch gebacken werden musste.

Mittels einer digitalen Version lässt sich leicht herausfinden, dass Präauers Text 179 Fragezeichen enthält, bei einer Gesamtlänge von 198 Seiten fast ein Fragezeichen pro Seite, die leeren und Kapitelüberschriftsseiten abgezogen bleiben schon fast zwei Fragezeichen auf jeder. Der Rest des Textes widmet sich nicht der Beantwortung der meist rhetorischen Einwürfe. Vielmehr wird ein breiter Teil des Textes für die von einer Bilderkennungssoftware zur Verfügung gestellten Verschriftlichung eines Instagram-Food-Feeds verwendet:

Eine Quiche, beinah zur Hälfte aufgegessen.
Eine herrliche Suppe bei der Cousine auf der Terrasse im kühlen April.
Eine Flasche Wein in den Weinbergen, mit Blick auf die Stadt.
Grüner Spargel mit Ei und Kresse.
Frischgebackene Cones, die auf Clotted Cream warteten.
Eine Hand mit rotlackierten Fingernägeln, die eine Tüte hielt, darin eine Kugel grünen Matcha-Eises und eine Kugel grauen Sesam-Eises. Ein Kind mit blauem Sommerhütchen, das uns eine rote Erdbeere entgegenstreckte.

Zum Inhalt: Ein Pärchenabend der Gastgeberin mit ihrem Partner, einem befreundeten Ehepaar und einem Akademiker aus der Schweiz findet statt. Sie essen und trinken, dann kommt ein Zufallsbesuch, ein amerikanisches Touristenpärchen, und eine Orgie bricht aus, bis diese von der an der Haustür klingelnden Polizei jäh unterbrochen wird. Von den Figuren wird kein Bild gegeben. Eigennamen, Fehlanzeige, außer die Katze der Nachbarin, die heißt Minka. Die Ehefrau zumindest trägt im Text mal flache, mal hohe Absätze, mal eine Sommerhose, mal ein knappes Kleid:

Die Ehefrau zog schon vor der Tür die Schuhe mit den flachen Absätzen aus, ganz außer Atem sei sie. Sie trug eine gemusterte Seidenbluse zur flattrigen Sommerhose, Brille und kaum Make-up.

Die Ehefrau trug Schuhe mit sehr hohen Absätzen, die Pumps genannt wurden oder Stilettos. Entgegen ihrer Gewohnheit trug sie auch keine flattrige Hose, sondern ein enges kurzes Kleid.

Ein Verwirrspiel findet statt. Ist es derselbe Abend? Sind es dieselben Personen? Wohl kaum. Wahrscheinlich spielt das alles keine Rolle, da alles so ununterscheidbar einförmig geworden ist, dass Texte ohne Eigennamen, Beschreibungen, ohne Zuschreibungen, Individualisierungen, ohne zeitörtliche Fixierung auskommen können? Literarisch überzeugt Präauers Text nicht. Er gibt sich nicht den Details hin. Führt nichts aus. Schildert kaum etwas. Alles bleibt infrastrukturell allgemein, kaum ausgeführt, nur angedeutet. Die imaginäre Arbeit bleibt gänzlich dem Publikum überlassen:

„Seit ein paar Jahren war die Gastgeberin mit ihrem Partner zusammen, der wiederum mit seinem Smartphone zusammen war. Der Schweizer hatte eine Freundin, konnte aber auch gut alleine sein. Er könne Mixgetränke überhaupt nicht leiden, wiederholte dieser, den Crémant aus dem Elsass würdigend, und hob sein Glas. Santé!“

Crémant kommt 35 mal als Wort vor, Quiche 34, die Gastgeberin 356. Absätze, Strukturen gehen ins durchlässig transparent Abstrakte, wechseln von der „Du“- in die „Wir“-Perspektive, zurück in die anonyme Beschreibung als Kamera beim erweiterten Pärchenabend. Die Stärke des Textes liegt im Performativen, als Aushöhlung, Enthüllung, als Bloßlegung eines Lebensentwurfes, der offenkundig kein Außen mehr besitzt als den Musikstream aus dem Smartphone.

Wer möchte, kann Präauers Text „Kochen im falschen Jahrhundert“ als Zeitgeistkritik oder Selbstbeschimpfung lesen. In der offenkundigen Hilflosigkeit überzeugt die Leere, die Tristesse, das Banale als vorzeitiges Aufgeben, Verbindlichkeit anzustreben. Wie Heike Geißlers Die Woche“ als Dokument, Palimpsest, als Performance möglicherweise interessant, vielleicht für manche Augen sogar auch überzeugend, bleibt literarisch gesehen nichts übrig, woran ein Gespräch sich noch entzünden könnte. Präauer hat mit dem Gesprächsabbruch ernstgemacht, Fragezeichen gesetzt und ihre Figuren und mit ihnen das Publikum ins offene Messer laufen lassen. Und das war offensichtlich so gewollt.

2 Gedanken zu „Teresa Präauer: „Kochen im falschen Jahrhundert““

    1. Es handelt sich in der Tat um ein äußerst ungewöhnliches Buch – es scheint eher ein Drehbuch für einen Avantgardefilm zu sein, eine episodenhafte Reihung, die sich um sexuelle und intellektuelle Anziehung und Abstoßung fokussiert. Die Autorin zieht den akademischen Lebensrahmen durch den Kakao, aber ohne Witz und Eloquenz. Es ist nur eine Skizze von Buch.

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