Terézia Mora: „Muna“

Muna

An der Erzählperspektive gebrochener Masochismus, der die Handlung unter einer Glasglocke ersticken lässt.

Der Roman Muna von Terézia Mora besitzt als Rahmen eine absolute, selbstbezogene Form von Liebe. Muna, die Protagonistin, liebt Magnus bedingungslos, obwohl dieser ihr die meiste Zeit über, die der Roman von Leben Munas abdeckt, über 20 Jahre, die kalte Schulter zeigt. Sie will Kontakt. Sie sucht seine Nähe. Sie gibt alles für ihn auf. Hauptsache sie ist in seiner Nähe. Sie erträgt alles, denn er ist schön. Das ist alles, was sie am Anfang von ihm weiß, aber es ist genug, um ihn ein halbes Leben zu verfolgen:

Danke!, rief ich und stürmte an ihm vorbei, fiel durch die Tür ins Zimmer mit dem großen Tisch und den Regalen, wer im Raum war, schreckte hoch. So sah ich ihn zum ersten Mal, sich irritiert nach mir umdrehend: den schönsten Mann, den ich je im Leben sehen würde.

Muna kennt ihn nicht. Es ist Magnus, und es ist das Jahr 1989 in Jüris, einer kleinen Stadt in der Nähe von Magdeburg, einer Stadt eines Staates, den es bald nicht mehr geben wird, die DDR. Magnus‘ Schönheit überwältigt Muna derart, dass sie nicht aufhören kann, an ihn zu denken, und dies, obwohl er bald für Jahre aus ihrem Leben verschwindet. Magnus An- und Abwesenheit bestimmt fortan ihr junges Leben. Sie ist achtzehn. Er ist bereits Lehrer, möchte aber an die Universität. Als die innerdeutschen Grenzen sich lockern, flieht er, aber nicht ohne mit Muna vorher geschlafen zu haben:

Du kannst nicht gehen, du kannst nicht gehen! Wie kannst du mich entjungfern und dann einfach gehen? Ich kralle mir irgendwelche Klamotten (heule ich etwa schon wieder?), poltere in Hausschuhen die Treppen hinunter, aus dem Tor, hinaus auf die Straße, da ist er, er ist noch nicht weit gekommen. Das ungeduldige, genervte Gesicht, das ich aus der Redaktion kenne. Was soll das? Es sind Leute auf der Straße. […] Geh wieder rein. Es sind doch nur drei Wochen.

Aus drei Wochen werden Jahre, aber sie treffen sich wieder. Ein Auf und Ab beginnt. Es hört nicht auf. Magnus bleibt der bestimmende Faktor in Munas Leben. Sie hängt sich an ihn. Sie gibt alles auf, fragt nicht, duldet alles, was er mit ihr anfängt, erträgt Misshandlungen, erträgt Zurückweisungen, Beleidigungen, erträgt das Würgen, die Drohungen, das Eingesperrt-Werden, sinkt auf die Knie und betet ihn an. Terézia Moras Roman Muna lässt sich als Drogenroman deuten. Wie in Heroin Chic von Maria Kjos Fonn die Protagonistin nicht vom Heroin die Finger lassen kann, vermag Muna nicht Magnus aus ihrem Leben zu verbannen, obwohl er es ihr so leicht wie nur möglich macht. Die Gewalt geht von ihm aus, aber die Bestrebung, zusammenzubleiben von ihr:

Dass er’s doch gewusst habe. In dem Moment, wo ich ins Frühstück reingelatscht kam. Hatten wir nicht besprochen, dass ich nicht herkommen und ihm auf die Pelle rücken und ihn ablenken und in unangenehme Situationen bringen würde? Und, was habe ich getan? Natürlich genau das! Jetzt wissen alle, dass er eine gewöhnliche und großmäulige Freundin hat, die sich entweder an jeden ranschmeißt oder sich mit jedem anlegt, aber sonst nichts Relevanz zu irgendetwas beizutragen hat! Er hat genug von diesem Zirkus! Ich soll zusehen, dass ich mich verpisse, er will mich hier nicht mehr sehen!

Aber sie geht nicht. Sie will nicht gehen. Sie erträgt lieber die Gewalt, als ihn gehen zu lassen. Problematisch an Muna wird die Ich-Perspektive, die einen psychologischen Hintergrund andeutet, diesen aber nicht einlösen kann. Kjos Fonn löst diese Problematik, indem sie Elise in Heroin Chic die Drogen bejahen, ersehnen, mit vollem Bewusstsein und Verantwortung nehmen lässt. Es geht Elise um die Drogen, nichts als um diese, aber Muna geht es in Terézia Moras neuem Roman um Liebe, nicht ums Geschlagen-Werden. Sie wünscht sich Kinder, eine heile Welt, eine Schutzzone. Sie will gesehen, beachtet, gehört werden, und das von einem Mann, der sie schlägt, einsperrt und zu töten droht. Aus der Ich-Perspektive betrachtet lässt sich diese Ambiguität nicht lösen. Sie bekommt nicht, was sie will und will es trotzdem weiter, und dies nur, weil Magnus schön ist.

Vieles an Muna könnte auch an Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin erinnern. Doch hier löst Jelinek das Problem mit einer distanzierten, auktorialen Perspektive – vermeidet bewusst das Ich als Handlungsträger, verobjektivert Erika Kohut in der narrativen dritten Person, um die Handlung für sich selbst sprechen zu lassen. In Muna aber spricht die Protagonistin, und ausschließlich sie, ohne sich an irgendeiner Stelle verständlich machen zu können. Sie spricht ins Leere, ins Defokussierte, ins Beliebige, und so zerschellt und zerspringt die Narration in Tausend Stücke und hinterlässt nichts als Irritation und Fremdheit und Unwohlsein, auf seltsame Art gefoppt worden zu sein.

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