Alois Hotschnig: „Der Silberfuchs meiner Mutter“

Blick ins ungezähmte Chaos … SWR Bestenliste Platz 1 (02/2022)

Kriege ziehen viel mehr in Mitleidenschaft als nur die oberflächlichen Zerstörungen und Verwüstungen und Verletzungen. Sie erschüttern Vertrauen, zwischenmenschliche Verhältnisse bis in die letzten Fasern und Fibern des Seins hinein. Untersucht Stefanie vor Schulte in „Junge mit schwarzem Hahn“ die unmenschlichen Gewaltverhältnisse während des Dreißigjährigen Krieges, so analysiert Susanne Abel in „Stay away from Gretchen“ die Problematik der während der Besatzung durch die Alliierten gezeugten Kinder im Nachkriegsdeutschland und Edgar Selge in „Hast du uns endlich gefunden“ die Wirkungen und Zerrüttungen des Krieges auf die familiären Verhältnisse, auf die Beziehung eines Sohnes zu seinem gewalttätigen Vater. Alois Hotschnigs Roman „Der Silberfuchs meiner Mutter“ eröffnet hier eine weitere Perspektive auf die Schrecken des Krieges und entwickelt diese entlang der Beziehung einer Mutter zu ihrem gewollt/ungewollten Sohn.

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Fernanda Melchor: „Paradais“

Fernanda Melchor: „Paradais“

Von jungen Wilden und ihrer Sprachlosigkeit … intensiver Blick in den Abgrund

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2022…

Bücher, die im Grunde aus Rhythmus, Sprachfreude und einem bandwurmartigen Formexperiment bestehen, lassen sich nur mit Mühe herkömmlichen Kategorien zuordnen. „Paradais“ von Fernanda Melchor gehört zu diesen Texten und lässt sich, beinahe, in einem Atemzug mit einer Lesezeit von etwa 90 Minuten durchlesen, in etwa einer Spielfilmlänge. Ist es also ein Film als Buch? Ein mexikanischer Coming-of-Age-Roman, ein Splatter-Machwerk, Thriller, eine Quentin Tarantino-Variante, bestehend aus Schimpfwörtern, Obszönitäten, ordinären Tiraden? Oder einfach der Versuch, den Dschungel spätpubertärer Jünglingsallüren mal ungeschönt und unverharmlost, nicht wie in Herman Hesses „Demian“, in Worte zu gießen, der Gefahr der rasenden Ungeduld nackt ins furchterregende Auge zu sehen, um eine Rettung zu erahnen, wie der Ich-Erzähler in Edgar Allan Poes „Hinab in den Malstrom“?

„An einen dicken Ast des Amatebaums gelehnt, schloss er [Polo] die Augen, atmete den matten Duft der Lilien ein, und ohne es zu wollen, doch auch ohne es verhindern zu können, machte er denselben Fehler wie immer, wenn es ihm gut ging, genau denselben: Er wünschte sich, dieser Moment des einsamen Friedens ginge niemals vorüber. Doch, klar, gleich darauf tauchte unweigerlich der verfluchte Dicke [Franco Andrade] am Steg auf, vom Herabsteigen der Holzstufen schnaufend wie ein Nashorn, mit seinem dämlichen Grinsen aus der Zahnpastawerbung und dem gleichen Gelaber wie immer, im Ernst, demselben beschissenen Gefasel, wie er die Señora [Marián Maroños] von vorne und von hinten und von wer weiß wo […]“

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