Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau“

Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau“

Verstörende Hoffnungslosigkeit zwischen Ohnmacht und Flucht: Lesenswert.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Romane über Gewaltverbrechen pendeln zwischen Voyeurismus und Verzweiflung. Die ersteren beuten das Geschehnis aus, ob des Skandalons. Die zweiteren ergeben sich der Ohnmacht und gleichen einem Stoßgebet gen Himmel, es möge endlich Gerechtigkeit auf Erden obwalten. Die einen nehmen für sich in Anspruch, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und den Schrecken zu pädagogisieren („Der Heimweg“ von Sebastian Fitzek), die anderen die emotionale Macht der Sprache für den Einspruch zu mobilisieren („Raum“ von Emma Donoghue). Von allen typischen Varianten gelingt Antje Rávik Strubel mit „Blaue Frau“ der bestmögliche Ausweg aus einer selbstgewählten Unmöglichkeit und ausweglosen Aufgabe: das Metalyrische.

„Abendsonne hat die Bootsschuppen, das Wasser und die algenüberspülten Steine erfasst. Blätter liegen im Sand, gelb durchsprenkeltes Grün der Birken. Die Stämme sind nass, die Flechten schattig von Feuchtigkeit. Die blaue Frau kommt vom Ufer herauf. Als die Röte nachlässt, bleibt ein Schimmer auf ihrem Gesicht zurück, verschiebt es, richtet es neu ein. Die Haut wie die Faltungen des Sandes. Sie erinnert mich an jemanden.“

„Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau““ weiterlesen

Hengameh Yaghoobifarah: “Ministerium der Träume”

Eine Wortmeldung der explosiven Art

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Yaghoobifarah ist eine moderne Antigone im Kampf um das Vermächtnis der Schwester, ein Ringen um Verstehen, um das Durchbrechen der Angst, eine Antigone, die sich nicht an die Regeln halten kann, noch halten will, so lange, bis sie einmal nicht mehr ironisch, voller Enttäuschung und Traurigkeit feststellen und sagen muss „Nicht schlecht, Deutschland“, sondern es sagen will und kann, da sie endlich angstlos leben und lieben kann, und zwar ohne Angst und fremdaufmodulierter Reue.

Wer sich von diesem Buch angegriffen fühlt, hat viel über sich, nicht über die Autorin zu lernen. Hier bricht sich eine Literatur bahn, die beschreibt und kein Blatt vor dem Mund nimmt. Der Schmerz ist nur ein Teil – die Lautstärke ein anderer. Beides wird von der Wut zusammengehalten, die den Text rahmt und Kontur verleiht. Wer den ungeschönten Blick wagt, wird belohnt. Uneingeschränkt lesenswert.

Alena Schröder: “Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid”

Ein Buch, das zu kurz ist, für das, was es will.

Ausführlicher, vielleicht begründeter: https://kommunikativeslesen.com/2021…

Wie der Titel so auch das Buch. Es will zu viel. Es will Zeitgeschichte schreiben, Frauenemanzipation rekonstruieren, und die psychologischen Untiefen der aufgegebenen und eingegangenen Mutterschaft erforschen. Sehr gut lesbar, mit manchen schönen Szenen, ja, fast poetischen Bildern, die gelungen in Szene setzen, was Freiheit ist oder sein könnte, ein Leben im Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre. Als politischer Roman leider völlig unbrauchbar, und als Rechtfertigungsstrategie, eine nationalsozialistische Familienangehörige nicht zu verteufeln, sondern in ihrem komplexen Umfeld zu verstehen, beinahe ärgerlich. Der Roman entfaltet dort seine Stärke, wo Verwirrung und gefühlsmäßiges Chaos die Überhand nehmen, auf keine Klischees zurückgegriffen wird und sich Schmerz die Bahn bricht. Alena Schröders Roman jongliert mit zu vielem und deshalb fällt vieles zu Boden, zersplittert, entsetzt. Das aber, was am Ende in der Hand bleibt, ist dennoch lesenswert, auf seine bescheidene Art und Weise – die Hoffnung und das Recht der Frauen, nicht auf ihre Mutterrolle vereinseitigt zu werden. Sprachlich neuzeitlicher Standard, glattgeschliffener Stil, inhaltlich eine Tour de Force, aber mit intensiven Passagen, die auf ein weiteres Buch hoffen lassen.